Ausgabe 03/2022
Editorial
Von Petra Welzel |Liebe Leserin, lieber Leser,
die Einigkeit in Europa, das geschlossene Auftreten der europäischen Staaten gegen Russlands Angriff auf die Ukraine, wird seit Kriegsbeginn immer wieder betont. Es schwingt dabei aber auch die Sorge mit, dass die Geschlossenheit auf tönernen Füßen steht, die bei zu viel Last brechen könnten. Gut möglich, dass es in der Europäischen Union alsbald wieder Streit gibt. Womöglich sogar über einen beschleunigten EU-Beitritt der Ukraine. Einige Länder verharren seit Jahren im Beitrittsverfahren, warum sollte es für die Ukraine jetzt schneller gehen? Doch zerbrechen wird die EU vermutlich nicht an dieser Auseinandersetzung. Dass Europa schon lange viel mehr ist als die Summe ihrer Länder, zeigen wir in unserem Europa-Spezial auf den Seiten E1–E5. Ob es ums Soziale, die Ausgestaltung von Arbeitsbedingungen oder einen europäischen Mindestlohn geht – vieles wird schon lange auf EU-Ebene verhandelt, reguliert und vereinbart.
Was sich in Deutschland nach wie vor nicht von allein reguliert, ist der Ausbildungsmarkt. Vor allem dem öffentlichen Dienst gehen die Nachwuchskräfte aus. Bis 2030 könnten ihm 300.000 Fachkräfte fehlen. Nun ist es nicht so, dass Schulabgänger*innen keine Ausbildungen anstreben. Im Gegenteil: Laut einer aktuellen Studie möchten 80 Prozent derjenigen, die einen niedrigen oder mittleren Schulabschluss haben, auch unbedingt eine Ausbildung machen. Nur warum kommen sie nicht zu den Ausbildungsplätzen, die es gibt? In unseren Reportagen aus der Haftanstalt Gelsenkirchen (S.12-13) und dem Zoo in Bremerhaven (S.16) beklagen auch dort die Beschäftigten den Nachwuchsmangel. Justizvollzugsbeamte und Tierpfleger*innen sind nur zwei von vielen Berufen, die Auszubildende suchen.
In der Pflege mangelt es nicht nur an Auszubildenden. Pflegekräfte haben ihren Beruf wegen der überlastenden Bedingungen massenhaft verlassen. 300.000 von ihnen stünden zur Verfügung, wäre die Bezahlung besser und der Druck geringer (S.11). In NRW wird jetzt für bessere Bedingungen gestreikt werden. Eine starke Bewegung (S.4). Wir brauchen mehr davon.
Petra Welzel Chefredakteurin der ver.di publik