olha.jpg
Olha VorozhbytFoto: privat

Die Nachrichten von den ersten Explosionen des großangelegten russischen Überfalls auf die Ukraine las ich im Zug nach Kyjiw. Seit meine Familie 2015 entschieden hat, nach Lwiw zu ziehen, war ich häufig auf dieser Strecke unterwegs. Denn ich arbeitete weiterhin für meine Zeitschrift mit Hauptsitz in der Hauptstadt der Ukraine.

Obwohl die Möglichkeit einer großangelegten Offensive lange vor dem 24. Februar diskutiert wurde und es bereits Evakuierungspläne gab, waren die ersten Explosionen für alle ein Schock. In den ersten zwei Wochen dachten – abgesehen von Mitarbeitern wichtiger Infrastruktureinrichtungen und Journalisten – nur wenige Menschen an die Arbeit. Innerhalb von zwei Wochen war jedoch klar, dass dieser Krieg noch lange dauern könnte. Und dass es Regionen gibt, in denen es ruhiger ist und dort weitergearbeitet werden kann und muss. "Weißt du, zunächst schien es, als ob niemand meine Arbeit hier in der Ukraine in einer solchen Zeit brauchen würde. Ich habe überlegt, was ich sonst noch für das Land tun könnte", sagte meine Freundin Natalja, die es geschafft hatte, neben ihren drei Kindern noch eine Familie aus dem umkämpften Kyjiw zu retten.

Natalja ist Designerin. Im vergangenen Jahr hat sie Logos für mehrere kleine Unternehmen erstellt. Zu Beginn des Krieges schien es, dass solche Arbeiten jetzt nicht mehr notwendig seien. Das Gegenteil stellte sich heraus. Nach einer kurzen Phase des Stillstands leben die Unternehmen wieder auf. Einige sind gezwungen, ihren eigenen Zweck zu überdenken und ihr Branding zu verändern. Laut der Wirtschaftsnachrichten-Website ain.ua gehören die Dienstleistungen von Designern im Moment zu den begehrtesten auf dem Markt.

All dies deutet darauf hin, dass die ukrainische Wirtschaft lebt und wie ein Phönix aus der Asche der russischen Zerstörung wieder aufersteht.

Ein neues Café

Das "Kiit"-Café im Zentrum von Lwiw, wo man Kaffee al banco trinken und Kuchen essen kann, ist erst vor ein paar Wochen entstanden. Den Gründern, Serhij, Iwan und Daryna gelang es, in den ersten Kriegstagen aus Irpin und Borodjanka zu fliehen. In den ersten drei Wochen haben sie sich als Freiwillige gemeldet, dann aber entschieden, dass sie bereit sind, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Die Warteschlangen vor ihrem "Kaffeefenster" sind lang.

Solche Beispiele zeugen von der Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Gesellschaft und der Bereitschaft, eigene Arbeitsplätze zu schaffen, wenn es keine gibt. Aber sie schmälern nicht die Herausforderungen, vor denen die Ukraine aufgrund des russischen Kriegs steht.

Fast fünf Millionen Ukrainer haben ihre Heimat verlassen. Einige Städte, insbesondere im wichtigen industriellen Osten des Landes, sind wie vom Erdboden verschluckt. Viele große Unternehmen mit Tausenden von Mitarbeitern konnten nicht weiterarbeiten, weil die russische Armee sie zerstört hat – zum Beispiel die Schokoladenfabrik Mondelez in Trostianets oder das Metallurgische Kombinat Asow-Stahl in Mariupol, das mehr als 10.000 Mitarbeiter beschäftigte. Das bedeutet Verluste für die Wirtschaft und für die ehemaligen Angestellten, dass sie sich einen neuen Job suchen müssen (falls sie am Leben und in Sicherheit sind).

Die Fähigkeit der Ukrainer, neue Arbeitsplätze zu schaffen und auch während eines umfangreichen Kriegs keine Angst davor zu haben, ein eigenes Unternehmen zu gründen, bedeutet jedoch, dass diese Gesellschaft aus jeder Asche wieder auferstehen kann. Und trotzdem braucht sie jede Unterstützung, die sie kriegen kann.