Ausgabe 04/2022
Politisch hellwach
Karin Mohr aus dem ver.di-Landesbezirk Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen war mit 78 Jahren die älteste Delegierte auf dem DGB-Bundeskongress in Berlin. Das sogenannte Parlament der Arbeit hat dort Anfang Mai den Kurs des Deutschen Gewerkschaftsbundes für die nächsten Jahre diskutiert und Anträge dazu beschlossen. Obwohl Karin Mohrs gesundheitliche Situation noch wenige Wochen vor dem Kongress bedenklich war, nahm sie die Reise aus ihrer Wahlheimat Görlitz in die Hauptstadt auf sich, um ihr Mandat wahrzunehmen.
Im Gespräch mit ihr wird schnell klar, dass Karin eine außergewöhnliche Frau ist – stark und mutig, risikofreudig und unverdrossen. Im reifen Alter von 70 Jahren war sie aus dem fernen Rheinland-Pfalz in den "fernen Osten" der Republik umgezogen und hat dort noch einmal einen neuen Lebensabschnitt begonnen.
Auslandssemester auf Hawaii
Aber das war für Karin nicht der erste Ortswechsel in ihrem Leben: In Berlin aufgewachsen, hat sie später in Düsseldorf gearbeitet, ging mit 40 Jahren nach Ham- burg zum Volkswirtschaftsstudium, später nach Berlin für das Studium der Industriesoziologie, schließlich für ihren Master in "Industrial And Labor Relations" nach New York und absolvierte sogar ein Auslandssemester auf Hawaii. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie für mehrere Jahre in der DGB-Technologieberatungsstelle für Betriebs- und Personalräte in Kaiserslautern – in dem "Job", den sie inhaltlich als "schönsten auf der ganzen Welt" bezeichnet. Im Seniorenbereich ist Karin bis heute bei ver.di und in der SPD aktiv. Was für ein Leben!
Streitbar und politisch hellwach ist Karin immer geblieben; Krieg und Frieden bewegen sie - auch zu lyrischem Schreiben. Als der Angriffskrieg Putins in der Ukraine begann, verfasste sie einen sehr persönlichen Text. Diesen und ein Gedicht, das sie 1987 geschrieben hatte, trug sie erstmals am 20. März 2022 auf einer Friedensdemo in Görlitz vor – und berührte damit viele Menschen. So sehr, dass schnell der Entschluss gefasst wurde, den Text zu übersetzen. Erst ins Polnische, dann auch ins Ukrainische und Tschechische. Beim Ostritzer Friedensfest feierte diese viersprachige Version, vorgetragen von drei Frauen und einem Mann, am 20. Mai Premiere.
Karin ist ein Vorbild für viele von uns und wir sind stolz, sie in unseren Reihen zu wissen.
Karin Mohr: ICH HABE GEGLAUBT
Als ich anfing, politisch zu denken, habe ich geglaubt, dass die Filmausschnitte mit jubelnden und blumenschwenkenden Frauen an Bahnsteigen, an denen junge Männer in den Krieg zogen, nationalsozialistische Propaganda waren.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Frauen und Mütter ihre Männer oder Söhne jubelnd in den Tod schickten.
Ich wurde eines Besseren belehrt: Beim Falklandkrieg 1982 jubelten tatsächlich englische Frauen und beim USA-Panamakrieg 1989 erlebte ich hautnah, wie meine damaligen Nachbarinnen, amerikanische Frauen und Mütter, den Auszug der Soldaten bejubelten.
Bei dem jetzigen Krieg in der Ukraine habe ich solche Jubelszenen nicht entdecken können. Ich sehe nur Leid und Verzweiflung eines von Putin überfallenen Landes.
Ich sehe nur, wie Frauen und Mütter unter Tränen das Land verlassen und um die zurückbleibenden Männer und Söhne bittere Tränen vergießen. Mein Unverständnis und meine Trauer lassen mich daher an ein Gedicht denken, das ich 1987 geschrieben habe:
FRIEDEN
Ich wünsche, dass Frieden nicht erkämpft werden muss. Ich wünsche Dir und mir und uns, dass einfach Frieden ist. Frieden in Dir, in Deiner Umgebung, überall auf der Welt. Vor allem aber in Dir, denn dann überträgt sich der friedliche Gedanke auf Deine Umgebung, zieht Kreise und erreicht irgendwann die ganze Welt. Lässt hoffen, das Ziel zu erreichen – Frieden.