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Protest gegen eine Demonstration der rechten Gewerkschaft „Zentrum Automobil“Sebastian Gollnow/dpa

Auf seiner Website gibt sich der eingetragene Verein "Zentrum" arbeitnehmer*innenfreundlich: Er wolle die beruflichen und sozialen Interessen seiner Mitglieder wahren. Dabei bezeichnet er sich selbst als "die Alternative zu den DGB-Gewerkschaften", also des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dem auch ver.di angehört. Doch selbst weiten Teilen der AfD, der selbsternannten Alternative für Deutschland, steht die Pseudogewerkschaft zu weit rechts. Zwar haben die Delegierten beim AfD-Bundesparteitag in Riesa im Sommer einen Unvereinbarkeitsbeschluss aufgehoben, aber die Mehrheit dafür war knapp und die Diskussion heftig.

Unterstützung bekam der Antrag unter anderem von Björn Höcke. Der Vorsitzende der AfD-Fraktion im thüringischen Landtag hat vor sieben Jahren die rechtsextreme AfD-Strömung "Der Flügel" begründet. Er sagte bei dem Parteitag, die AfD brauche "Vorfeldorganisationen" wie das Zentrum und warb auf seinem Telegram-Kanal für die Pseudogewerkschaft. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete die Aufhebung des Unvereinbarkeitsbeschluss als "Machtdemonstration des Rechtsaußenflügels".

Die Aufhebung bedeutet, dass Zentrums-Mitglieder jetzt auch offiziell der AfD beitreten und AfD-Mitglieder offen für Zentrum werben können. Gegen die Aufhebung hatte sich etwa AfD-Bundessprecherin Alice Weidel ausgesprochen. Die Entscheidung sei nicht in ihrem Sinne und auch nicht im Sinne ihrer Partei. Ein Grund dafür könnte sein, dass die AfD vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft worden ist – und in dem Verfahren können enge Kontakte zu offensichtlich politisch rechts stehenden Organisationen eher schaden.

Dort steht aber Zentrum. Gegründet wurde der Verein 2009 als Zentrum Automobil von Oliver Hilburger, einem ehemaligen Mitglied der Rechtsrock-Band Noie Werte. Bei den Betriebsratswahlen 2010 kam der Beschäftigte von Daimler Benz in Untertürkheim dort mit seiner Liste auf zwei Sitze. Aktuell hat die Zentrums-Liste sieben der insgesamt 45 Mandate. Im Betrieb präsentieren sich die Zentrumsaktiven als "Kümmerer". Melden sich Mitarbeiter*innen des Werks mit ihren Problemen bei Zentrum, werden sie innerhalb kurzer Zeit von deren Aktiven aufgesucht.

Möglich ist das, weil alle Betriebsräte in dem Werk freigestellt sind. Aber dazu hätten sie ja auch Zeit, berichten IG-Metall-Kolleg*innen aus Untertürkheim. In betrieblichen Gremien und Kommissionen, wo wirkliche Verbesserungen für die Beschäftigten gegen den Arbeitgeber durchgesetzt werden können, spielte Zentrum keine Rolle. Hilburger erscheine dort zwar, schweige aber meistens. Stattdessen stänkerten die Zentrums-Aktiven lieber gegen DGB-Gewerkschaften.

Gut dokumentierte Kontakte

Auch wenn Hilburger und seine Getreuen im Betrieb ihre rechte Gesinnung nicht vor sich hertragen, seien die ganz klar rechts zu verorten, sagt Kai Venohr, Leiter des Projekts "Vernetzung, Aufklärung, Unterstützung (VAU) – Gewerkschaftliche Bildung gegen rechte Einflussnahme in der Arbeitswelt" des DGB-Bildungswerks. Fotos von Treffen Hilburgers mit Björn Höcke sind im Internet schnell zu finden, seine Auftritte bei Pegida- oder Corona-Demos werden hier ebenso dokumentiert wie die Nähe zu rechten Meinungsmacher*innen und Magazinen. Venohr sieht in der vermeintlichen Zweigleisigkeit eine Strategie, um neue Mitglieder nicht sofort mit rechter Ideologie zu verschrecken.

In den Telegram-Gruppen von Zentrum zeige sich jedoch, wie sich einige der erst einmal unpolitisch Angesprochenen innerhalb kurzer Zeit radikalisierten. Als "Schleppnetztaktik" bezeichnet das Lukas Hezel vom DGB-Bildungswerk Baden-Württemberg. Von der Gründung des Zentrums Automobil an wollten die Neue Rechte und Hilburger ihre Aktivitäten auch auf andere Branchen ausweiten. Im Juli wurde jetzt offiziell das Zentrum Gesundheit und Soziales gegründet, wer den Beitrittsantrag online ausfüllt, landet beim Zentrum Automobil.

Angesprochen werden sollen mit der Neugründung Beschäftigte des Gesundheitswesens. Insbesondere um Impfgegner*innen kümmert sich das Zentrum schon seit Ende vergangenen Jahres. In den entsprechenden Telegram-Gruppen verbreiten Aktive allerdings falsche rechtliche Informationen, preisen etwa Portale an, über die falsche Impfunfähigkeitsbescheinigungen bezogen werden können. Entsprechende Screenshots liegen der Redaktion von ver.di publik vor. Die fahrlässigen Beratungen können zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen wegen Betrugs führen, bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes.

Auch der versprochene Rechtsschutz für Zentrums-Mitglieder entpuppt sich schnell als Luftnummer. Wegen des geringen Mitgliedsbeitrags könne das nicht gehalten werden, musste Zentrum bei Telegram eingestehen, und empfiehlt den Abschluss einer privaten Rechtsschutzversicherung. ver.di-Mitglieder haben übrigens Anspruch auf Arbeits- und Sozialrechtsschutz, und die einrichtungsbezogene Impfpflicht lehnt auch ver.di als schlechtes Signal an die Beschäftigten ab.

Aufruf stieß nur auf geringe Resonanz

Als erste größeren Aktion hat Zentrum zu einem fünfminütigen Impfstreik am 28. Februar mobilisiert. Doch bei den Beschäftigten stieß der Aufruf nur auf geringe Resonanz. Allerdings macht er noch einmal deutlich, wes Geistes Kind die Pseudogewerkschafter*innen sind. Unterstützt werden sie unter anderem vom Compact-Magazin. Das Sprachrohr der neuen Rechten ist eng mit der rechten Szene verzahnt und wird vom Verfassungsschutz als "gesichert extremistisch" eingestuft. Das gilt auch für die Freien Sachsen. Sie trommelten ebenso für den Impfstreik wie etwa der Demokratische Widerstand, einem Zusammenschluss von Querdenker*innen und anderen Schwurbelnden. Um reale Probleme von Pflegebeschäftigten, wie ihre Forderungen nach Entlastung, angemessener Bezahlung und mehr Wertschätzung, kümmert sich Zentrum nicht. Stattdessen gibt es soziale Demagogie.

"Zentrum ist eine kleine Minderheit", sagt Kai Venohr. Er schätzt etwa 0,1 Promille aller Betriebsräte bundesweit als zentrumsnah ein. Dennoch müsse man das Auftreten rechter Pseudogewerkschaften und auch einzelner rechts stehender Kandidat*innen insbesondere bei Wahlen zu Interessenvertretungen im Blick behalten. Sie könnten den Betrieben und Dienststellen den Boden für die politische Rechte bereiten und so die gewerkschaftliche Interessenvertretung in den Betrieben insgesamt schwächen.

Dort versucht etwa der rechte Flügel der AfD um Björn Höcke schon eine Weile, Fuß zu fassen. Aus dem AfD-Landesverband Thüringen ist eine Gründung mit dem Namen Alarm hervorgegangen, bislang jedoch ohne sichtbaren Einfluss. "Das beste Mittel gegen den rechten Vorstoß in die Arbeitswelt ist gute, solidarische und kämpferische Gewerkschaftsarbeit", empfiehlt Lukas Hezel für den betrieblichen und gewerkschaftlichen Alltag. Denn im Kampf für ihre Anliegen sollten sich Arbeitnehmer*innen nicht von rechten Ideolog*innen spalten lassen.