Ausgabe 06/2022
Im Namen des Gesetzes
Lohn, der nicht bezahlt wird, fehlender Arbeitsschutz, Kündigung: als Gesamtbetriebsrat ist Olaf Harms, 61, Auseinandersetzungen mit Arbeitgebern gewöhnt. Gelingt es nicht, einen Kompromiss auszuhandeln, landet der Fall vorm Arbeitsgericht. Auch damit kennt sich Olaf aus. Denn mehrmals im Jahr streift er eine schwarze Robe über und schlüpft in die Rolle des Richters. Die Robe ist zwar nur geliehen und das Amt ein Ehrenamt. Aber das ficht Olaf nicht an.
Ihm geht es ums Prinzip: "Dass die Rechtsprechung nicht ausschließlich durch Berufsrichter ausgeübt wird, sondern auch die Zivilgesellschaft dabei ist: Das ist das Fantastische an unserer Justiz", sagt er.
Bedauerlicherweise wissen die Allerwenigsten, was Ehrenamtliche Richterinnen und Richter wie Olaf tun. "Das Amt wird viel zu wenig bekannt gemacht", beklagt Andreas Höhne vom Bundesverband Ehrenamtlicher Richterinnen und Richter (schoeffen.de). Schon der Name stiftet Verwirrung. "Ehrenamtliche Richter werden häufig mit Schöffen verwechselt." Tatsache ist: Schöffen gibt es nur am Strafgericht. An allen anderen Gerichten werden nicht Schöffen, sondern Ehrenamtliche Richter an die Seite der Hauptamtlichen gestellt.
Ehrenamtliche Richter werden vorgeschlagen
Höhne geht davon aus, dass es in Deutschland insgesamt 65.000 Schöffen gibt. Die Zahl Ehrenamtlicher Richterinnen und Richter schätzt er auf zusätzlich 35.000. Die meisten von ihnen sind an den Arbeits- und Sozialgerichten tätig, es gibt Ehrenamtliche Richter*innen aber auch an den Landwirtschafts-, Finanz-, Verwaltungs- und Handelsgerichten.
Während Schöffe beinahe jede und jeder werden kann, der sich bewirbt oder vorgeschlagen wird, gilt für die Arbeits- und Sozialgerichte eine Besonderheit: Hier sind die Gerichte paritätisch besetzt. Sowohl die Arbeitgeber als auch die Gewerkschaften reichen am Arbeitsgericht Namenslisten ein; am Sozialgericht haben darüber hinaus auch die Sozialverbände ein Vorschlagsrecht.
"Als Ehrenamtliche stehen wir dem Berufsrichter in nichts nach, wir können sogar das Votum des Berufsrichters überstimmen!"
Olaf Harms, 61, Ehrenamtlicher Richter in Hamburg
Auch Olaf ist vor acht Jahren über eine ver.di-Liste zu seinem Amt am Arbeits- und Landesarbeitsgericht Hamburg gekommen. Damals fühlte er sich noch etwas merkwürdig in dem schwarzen Gewand, das man ihm aushändigte. Aber er fand sich schnell in seine Rolle ein. "Die Robe signalisiert, dass ich Recht spreche", erklärt er. "Als Ehrenamtliche stehen wir dem Berufsrichter in nichts nach, wir können sogar das Votum des Berufsrichters überstimmen!"
Ganz genau lässt sich Olaf darum bei jedem seiner Termine im Arbeitsgericht vom Richter erklären, worum es in einem verhandelten Fall geht. Wird er ans Landesarbeitsgericht geladen, stellt ihm das Gericht vorab die Unterlagen zur Verfügung. Schwer ist es ihm nie gefallen, sie zu verstehen. Erfahrungen im Umgang mit Gesetzen und Kommentaren sammelt er ja als Gesamtbetriebsrat schon seit Jahren.
"Mit meinen Hinweisen aus der Praxis helfe ich dem Berufsrichter, einen Fall einzuschätzen", sagt Olaf. Droht etwa einem Beschäftigten die Kündigung, erkundigt sich Olaf gern nach der Größe des Betriebs. "Denn bevor man zu dem schwersten Mittel der Kündigung greift, sollte man prüfen, ob man einen Arbeitnehmer woanders unterbringen kann", erklärt er. Er gibt allerdings auch zu: "Viel Bewegungsspielraum hat man nicht. In 95 Prozent der Fälle sind die Dinge gesetzlich klar. Trotzdem kann man die eine oder andere Sache durch gezielte Fragen steuern."
Auf der Seite des Schwächeren
Der Zeitaufwand seines Ehrenamtes hält sich in Grenzen. Sechs bis achtmal pro Jahr wird er zu einem Fall hinzugerufen. Kosten entstehen für die Ehrenamtlichen keine: Die Arbeitgeber müssen die gewählten Kandidaten, die an höchstens zwölf ordentlichen Sitzungstagen im Jahr an die Gerichte geladen werden, freistellen.
Olaf genießt die Ergänzung zu seinem Arbeitsalltag und schätzt es, andere Perspektiven kennenzulernen. "Das bereichert das Leben!" Belastend findet Olaf sein Ehrenamt nur, wenn ein Beschäftigter keinen guten Rechtsbeistand hat. Sein Ziel ist eines, das sich mit seinem Engagement für ver.di deckt: "Ich möchte dafür sorgen, dass der ohnehin Schwächere nicht auch noch vorm Arbeitsgericht über den Tisch gezogen wird."
Das Amt sei vor allem dazu da, zwischen Justiz und Gesellschaft zu vermitteln, erklärt Höhne. "Schöffen und Ehrenamt- liche Richter sollen Urteile verständlich machen; das sorgt für Transparenz in der Justiz." Was man für das Amt braucht? "Durchsetzungsvermögen, Rückgrat und ein gewisses Standing."
Volkes Stimme
Davon hatte Irene Purschke, 57, vom Gesamtpersonalrat Bremen mit Sicherheit genug. Dennoch zweifelte sie anfangs daran, ob sie dem Amt gewachsen sein würde. Wäre sie nicht viel zu emotional für diese Rolle? Würde sie, die so gern Fragen stellt und diskutiert, es aushalten, im Gerichtssaal zu hocken und einfach still zuzuhören? "Man kann ja nicht einfach losplappern!"
Ihre Zweifel sind längst verflogen. In ihrem Amt trägt sie zwar keine Robe – das ist nur in Hamburg üblich –, aber auch sie genießt ihre würdige Rolle durchaus. "Es geht um Volkes Stimme!" Und natürlich gelingt es ihr, zu schweigen – auch wenn es in ihr drin gehörig brodelt, weil sich im Gerichtssaal mal wieder einer derart aufplustert, als liefen die Fernsehkameras mit. Die Entscheidung selbst wird dann im Hinterzimmer getroffen, wo ihr in der Regel ein Personalchef oder Vorstandsmitglied gegenübersitzt. Es gilt das Prinzip der Zweidrittelmehrheit.
Wird Irene von den beiden anderen überstimmt, macht ihr das wenig aus. Denn sie weiß: "In zweiter Instanz wird der Fall ganz genau geprüft. Dort hat man oft eine größere Chance, zu seinem Recht zu kommen."
Von ihrem Ehrenamt hat die gelernte Erzieherin auch persönlich profitiert. "Ich bin manchmal schnell emotional, aber vor dem Arbeitsgericht kommt man mit Emotionen nicht weiter. Hier geht es um Fakten. Gefühle sind eher hinderlich. Das hilft mir, mich zu fokussieren."
Am Strafgericht würde sie nicht arbeiten wollen. "Das ist eine andere Nummer!" Auch ein Amt am Sozialgericht wäre für sie schwer auszuhalten. "Da geht es um Existenzen. Du musst gucken, wie du innerlich mit der Situation klarkommst." Am Arbeitsgericht dagegen fühlt sie sich bestens aufgehoben. Sie ist überzeugt: "Wichtig ist: Man muss sich abgrenzen können, verstehen, wie Tarif- und Arbeitsrecht funktionieren und sich ein bisschen für die Sache interessieren, sonst ist es zu trocken."
Ehrenamtliche fehlen an allen Ecken
Wie gut den beiden ihr Amt gefällt, merkt man auch daran, dass Olaf und Irene für weitere fünf Jahre antreten wollen. Ihr Engagement ist auch deshalb wichtig, weil an allen Ecken und Enden Ehrenamtliche fehlen. Die AfD versteht das für sich zu nutzen. Sie ruft ihre Anhänger*innen darum immer wieder dazu auf, sich insbesondere um ein Schöffenamt zu bewerben. "Das Risiko, verfassungsfeindlichen Laienrichtern auf Richterbänken zu begegnen, droht vor allem an Strafgerichten", erklärt Joachim Wagner in seinem Buch "Rechte Richter". An den Arbeits- und Sozialgerichten ist die Gefahr, Rechtspopulisten zu begegnen, dank der Vorschlagslisten geringer.
Bundesweite Schöffenwahl
Dennoch hat es das Amt des Schöffen oder Ehrenamtlichen Richters verdient, kräftig beworben zu werden. Höhne schiebt darum gerade eine Aufklärungskampagne für die bundesweite Schöffenwahl an, die im nächsten Jahr ansteht. Wer Interesse hat, kann sich auf der eigens dafür bereits jetzt eingerichteten Informationsseite des Verbandes informieren.
Ehrenamtliche Richterinnen und Richter an den Arbeits- und Sozialgerichten dagegen werden dann benannt, wenn sie vor Ort gebraucht werden. Informationen hierzu geben die Fachbereiche von ver.di. Sie werden von den Gerichten darüber informiert, wenn Ehrenamtliche fehlen. Die Voraussetzung, um auf die Liste zu kommen: Du solltest mindestens 25 Jahre alt, wahlberechtigt und ver.di-Mitglied sein.
Für Irene ist ihr Ehrenamt ein deutlicher Beweis dafür, dass es sich lohnt, sich für ver.di zu engagieren: "Man merkt: Gewerkschaft ist mehr als Tarifgestaltung!"