Im letzten Monat habe ich viel über Schulen in Kriegszeiten gelesen. Ich schaue mir Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg an. Sie zu betrachten ist schwerer als je zuvor. Meine Tochter ist dieses Jahr eingeschult worden. Sie und alle anderen ukrainischen Kinder werden jetzt Kriegskinder genannt. Abgesehen von uns, ihren Eltern, und der ukrainischen Armee wird ihre Zukunft jedoch von einer weiteren Kategorie von Menschen abhängen – den Lehrern. Und die haben es in diesem Krieg nicht leichter als das Militär.

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Olha VorozhbytFoto: privat

"261 Bildungseinrichtungen in der Ukraine wurden vollständig zerstört, 2.061 wurden beschädigt. Das sind 15 Prozent. Und 1.300 Einrichtungen sind in den besetzten Gebieten", sagte kürzlich der ukrainische Bildungsminister Serhij Schkarlet. Außerdem befinden sich nach offiziellen Angaben derzeit 640.000 ukrainische Schulkinder im Ausland. Das Bildungssystem der Ukraine steht vor einer ziemlichen Herausforderung; insbesondere auf den Schultern der Sekundarschullehrer liegt die große Last, dass Schulkinder neues Wissen erwerben können sollen.

Zerstörte Schulen, kleine Luftschutzbunker

Die Situation mit dem Schulunterricht in der Ukraine ist regional unterschiedlich. Am schwierigsten ist es für die Gebiete, die besetzt worden sind oder in Nähe der Front liegen. So müssen in Tschernihiw 27 von 54 Schulen wiederhergestellt werden, 2 wurden vollständig zerstört. Luftschutzbunker in den Schulen müssen entweder erweitert oder repariert werden.

Ein Problem aller ukrainischen Schulen ist, dass die Luftschutzbunker in den Schulen oft nicht groß genug sind, um alle Schulkinder aufzunehmen. Daher erlauben Schulen normalerweise jüngeren Schülern, jeden Tag in die Schule zu kommen, um zu lernen, während sich ältere abwechseln: ein Teil der Schüler ist eine Woche in der Schule und lernt in der nächsten online zu Hause; wenn sie zu Hause sind, sitzen die anderen an den Schulbänken. Zugleich gibt es einige Schüler, die nur online lernen, und solche, die zu Hause komplett von ihren Eltern unterrichtet werden.

Eine solche Flexibilität hinsichtlich der Lernformate ist einerseits gut, denn sie ermöglicht es den Schülern, unter den unterschiedlichsten Bedingungen am Bildungsprozess teilzuhaben. Gleichzeitig ist dies eine zusätzliche Belastung für die Lehrkräfte, die das Funktionieren dieses Systems sicherstellen müssen.

Das Gehalt von Pädagogen in der Ukraine ist im Allgemeinen recht niedrig. Das Durchschnittsgehalt eines Sekundarschullehrers liegt bei 300 Euro pro Monat, das einer Kindergärtnerin bei 235 Euro. Online-Bildung während der Pandemie hat es vielen Schulen bereits ermöglicht, sich darauf vorzubereiten, einen solchen Bildungsprozess so sinnvoll wie möglich zu gestalten. Aber für ländliche Schulen, insbesondere in unmittelbarer Nähe der russischen Grenze, ist dies eine Herausforderung. Oft haben Lehrer dort kein gutes Internet geschweige denn einen Laptop, um den Unterricht durchzuführen.

Doch beschädigte Infrastruktur ist nicht das einzige Problem. Männliche Lehrer werden für den Kriegseinsatz eingezogen, und wenn es sich um einen Lehrer in ländlicher Gegend handelt, ist es schwer, Ersatz für ihn zu finden. Die vielleicht größte Herausforderung heute ist jedoch der Bedarf an qualitativ hochwertiger psychologischer Unterstützung für Lehrer und Schüler. Olena Ditschuk, Lehrerin an einer Hauptschule in Lwiw, sagt, dass Kinder nach einer so langen Pause im Offline-Unterricht oft mit Psychologen sprechen müssen. Krieg löst bei Kindern Ängste aus, selbst in relativ sicheren Regionen wie Lwiw. Eine kriegsversehrte Bildung braucht nicht nur Wiederaufbau, auch viele Seelen müssen geheilt werden.

Olha Vorozhbyt ist stellvertretende Chef-Redakteurin des ukrainischen Nachrichtenmagazins Ukrajinskyi Tyschden. Seit der Ausgabe 03_2022 schreibt sie regelmäßig für uns ein Update aus der Arbeitswelt in der Ukraine.