In Deutschland fehlen Fachkräfte – etwa 630.000 Stellen konnten 2022 laut Institut der deutschen Wirtschaft mangels qualifizierter Bewerber*innen nicht besetzt werden – insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Erziehung. Die Bundesregierung will nun mit einfacheren Regeln und neuen Angeboten mehr Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen. Deshalb hat das Bundeskabinett Ende März den neuen Gesetzentwurf zur Fachkräfteeinwanderung beschlossen. Das Gesetz von Innenministerin Nancy Faeser und Arbeitsminister Hubertus Heil, beide SPD, will durch leichtere Anerkennungen und mit einer neuen "Chancenkarte", die auf einem Punktesystem aufbaut, "die Einwanderung qualifizierter Drittstaatsangehöriger" um jährlich bis zu 60.000 Personen erhöhen.

Die bisherigen Regeln zur Arbeitskräftegewinnung im Ausland stammen noch aus März 2020, als das Fachkräfteeinwanderungsgesetz der damaligen großen Koalition in Kraft trat. Die neuen Regelungen für Fachkräfte sind Teil eines Gesetzespakets zur Migration, mit dem die Ampel-Koalition das Einwanderungs-, Aufenthalts- und Einbürgerungsrecht modernisieren will. Das neue Gesetz ermöglicht laut Bundesregierung im Wesentlichen drei Wege für die Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland:

Potenzial: Zu den neuen Regeln gehört, dass Menschen künftig mit einer "Chancenkarte" für ein Jahr nach Deutschland kommen können, wenn sie Potenzial für den Arbeitsmarkt mitbringen. Diese Chancenkarte basiert auf einem Punktesystem: Die Punkte werden für Qualifikation, berufliche Erfahrung, Sprachkenntnisse oder einen persönlichen Bezug zu Deutschland sowie das Alter vergeben.

Erfahrung: Neu ist auch, dass Berufserfahrung mehr Gewicht erhält. Ausländische Fachkräfte sollen auch dann eine Stelle annehmen können, wenn ihr Berufsabschluss in Deutschland nicht anerkannt ist, sie aber über eine mindestens zweijährige Berufserfahrung verfügen. Es ist dann möglich, die Anerkennung in Deutschland nachzuholen.

Qualifikation: Bald soll auch möglich sein, dass Zuwanderer mit einem anerkannten Abschluss nicht nur in ihrem erlernten Beruf arbeiten können, sondern auch eine andere Tätigkeit aufnehmen dürfen. Künftig gilt: Wer einen Abschluss hat, kann jede qualifizierte Beschäftigung ausüben.

Die Chance anzukommen

Der DGB und ver.di begrüßen ausdrücklich viele Maßnahmen, die vor allem im Gesetzentwurf zur Fachkräfteeinwanderung enthalten sind. Sie seien ein guter Schritt in die richtige Richtung. Gleichwohl darf sich Migration keinesfalls nur am Arbeitgeberinteresse orientieren, sondern der Mensch sollte im Vordergrund stehen. Wer nach Deutschland komme, hier lebe, arbeite und bleiben möchte, brauche die Chance, in unserer Gesellschaft anzukommen und ökonomisch und politisch teilzuhaben, sowie nachhaltige Bleibeperspektiven.

Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung leiste hierzu einen gewissen Beitrag, beschränke sich aber zu sehr auf Verfahren und Abläufe. Einwanderung dürfe nicht dazu dienen, gute Arbeitsbedingungen und Tarifverträge zu unterlaufen oder dringend nötige Verbesserungen auszubremsen, heißt es in der DGB-Stellungnahme weiter.

Bereits im Dezember hat der Bundestag das "Chancen-Aufenthaltsrecht" beschlossen (s. ver.di publik 8_2022). Laut Koalitionsvertrag soll das Gesetz der Praxis der Kettenduldungen entgegengesetzt werden. Menschen, die bis zum 1. Januar 2022 nur geduldet waren, sollten einmalig auf Probe eine auf 18 Monate befristete Aufenthaltserlaubnis bekommen. In dieser Zeit müssen sie nachweisen, dass sie etwa die deutsche Sprache beherrschen und ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern können.

Ebenfalls auf den Weg gebracht wurde eine weitere Reform zur deutschen Staatsbürgerschaft. Einbürgerungen sollen unter bestimmten Voraussetzungen vereinfacht werden. Künftig soll es bereits nach fünf Jahren, statt wie bisher nach acht Jahren Aufenthalt, die Möglichkeit geben, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Bei "besonderen Integrationsleistungen" sogar schon nach drei Jahren – etwa bei besonderen schulischen oder beruflichen Leistungen oder ehrenamtlichem Engagement.

"Allein im Bildungssektor – inklusive der Kinder- und Jugendhilfe – brauchen wir bis 2025 rund 400.000 Fachkräfte mehr als heute, und im öffentlichen Dienst droht bis 2030 eine personelle Unterdeckung von rund einer Million Arbeitskräften", erklärt ver.di-Chef Frank Werneke. Notwendig seien in Deutschland gute Arbeitsbedingungen und eine Willkommenskultur, die Deutschland attraktiv machen für Migrant*innen.

Das alles ist Teil eines Reformpakets und der Versuch, die Migrationspolitik zu modernisieren in Deutschland. Die Zahl der offenen Stellen lag 2022 bei rund 1,98 Millionen. In der IT-Branche beispielsweise fehlten 100.000 Fachleute, in der Solar- und Windenergiebranche gab es 200.000 offene Stellen. Der Gesetzentwurf zur qualifizierten Einwanderung soll da einer von vielen Schritten hin zu einer modernen Einwanderungspolitik sein.