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Wer nicht möchte, dass Künstliche Intelligenz bald die Regie im Betrieb übernimmt, regelt rechtzeitig ihren Einsatz. Es gibt gute Beispiele dafür: Bei der Deutschen Telekom haben Konzern und Konzernbetriebsrat 2022 das "Manifest über die Einführung und Nutzung lernender informationstechnischer Systeme" beschlossen. Bei IBM Deutschland gibt es seit 2020 eine "Rahmenvereinbarung über die Einführung und den Einsatz von Systemen der Künstlichen Intelligenz/Artificial Intelligence". Beim Textilhändler H&M in Deutschland konnte ver.di im Herbst 2022 einen Tarifvertrag Digitalisierung abschließen.

Die Vereinbarungen definieren einen Rahmen, innerhalb dessen sich KI im Betrieb bewegen darf. Damit ist gleichzeitig klar, dass es Grenzen des Zulässigen gibt. Das Manifest bei der Telekom soll das "Vertrauen zur Nutzung derartiger Systeme fördern und Vorbehalte zum KI-Einsatz abbauen, indem von den Betriebsparteien gemeinsam getragene Bedingungen für die KI-Systeme bei der Deutschen Telekom geschaffen und Transparenz sowie Verständlichkeit erhöht werden".

Eine klare Vorgabe gab es auch bei IBM vor Beginn der Verhandlungen über die Konzernbetriebsvereinbarung: "Am Ende entscheidet der Mensch." Dieser Leitsatz wirkte sich auf die Vereinbarung aus. Es geht darum, KI zu verstehen, zu bewerten und zu begrenzen. Dabei verzichtet die Vereinbarung auf feste Definitionen von KI, vielmehr klassifiziert sie mögliche KI-Systeme auf der Grundlage ihrer Risiken und Chancen für die Beschäftigten, reguliert beziehungsweise verbietet ihren Einsatz.

Im bei H&M vereinbarten Tarifvertrag steht der Schutz der Beschäftigten etwa vor Kündigung und Abgruppierung im Zuge der Digitalisierung im Mittelpunkt. Auch in Zukunft müssten in den Filialen Menschen arbeiten, heißt es, weil der persönliche Kundenkontakt wichtig bleibt. Der Tarifvertrag sieht vor, die Kompetenz der Beschäftigten durch eine Qualifizierungsoffensive zu stärken. So sollen die Mitarbeiter*innen vor der Abwertung ihrer Arbeit geschützt werden.

„Menschen benötigen einen handfesten Grund, um einen anderen Weg zu gehen“

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Constantin Greve, Gesamtbetriebsratsvorsitzender Deutsche Telekom AGFoto: MAI Filmproduktion Köln

„Bei uns werden schon länger KI-Systeme eingesetzt, mit steigender Tendenz. In­zwischen sind es weit über hundert. Deshalb war es sehr wichtig, dass wir im vergangenen Jahr mit dem Arbeitgeber das „Manifest über die Einführung und Nutzung ­lernender informationstechnischer Systeme“ beschließen konnten. Regelungen für KI-Anwendungen brauchen wir vor allem, weil sie starken Einfluss auf die Gestaltung von Arbeitsplätzen haben können. Viele Entwicklungen bei diesen Systemen stehen dabei noch am Anfang. Das Manifest regelt keine Details, sondern legt Grundregeln für den KI-Einsatz fest und gibt vor, diese Anwendungen anders zu ­betrachten als bisherige IT-Systeme. Zudem soll ein ethischer Rahmen festgelegt ­werden, der Anwendungen eingrenzt oder auch ausschließt.

Ein Beispiel: Stellen wir uns ein System vor, das die Fluktuationswahrscheinlichkeit von Beschäftigten anhand bestimmter Merkmale erkennen kann. Mit entsprechender Beeinflussung könnten so Mitarbeiter*innen gehalten werden, auf die der Arbeitgeber Wert legt. Das funktioniert aber auch andersherum, die Bereitschaft zur ­Eigenkündigung über dieses Tool zu erhöhen, wenn ein Beschäftigter gehen soll. Hier stellt sich die Frage nach der ethischen Eingrenzung konkret.

Genau wie in der Konzernbetriebsvereinbarung bei IBM, die wir kennen, sollen auch bei der Telekom in letzter Instanz immer Menschen entscheiden. Dabei stellt sich mit der rasanten Entwicklung zunehmend das Problem, eine Alternatividee zum Lösungsvorschlag der KI zu präsentieren. Menschen benötigen einen handfesten Grund, um einen anderen Weg als den vorgeschlagenen zu gehen. In der Praxis zeigt sich, dass Menschen sich zumeist an die Vorgaben des technischen Systems halten – außerhalb des Arbeitsplatzes ist das zu sehen bei der Nutzung von Navis im Straßenverkehr, digitalen Stadtplänen und vielem mehr. Wenn dadurch Fähigkeiten ver­kümmern, wie die, sich ohne technische Hilfe zu orientieren, dann ist Gegensteuern nötig. Ich finde es wichtig, dass Menschen bestimmte Grundfertigkeiten trainieren, die sonst verloren gehen würden. Dann wäre die Abhängigkeit vom KI-System perfekt.

Bei der Telekom ist noch keine Technik im Einsatz, die Entscheidungsmöglichkeiten vorgibt, aber auch das wird in absehbarer Zeit kommen. Dann wird es darum gehen, solche Vorgaben richtig zu nutzen, sich klarzumachen, dass Informationen wie etwa ChatGPT sie liefert, lediglich Wahrscheinlichkeiten abbilden, aber keine Wirklichkeit.“

Protokoll: Gudrun Giese

"Es geht darum, Tätigkeiten nicht ab-, sondern aufzuwerten"

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Jennifer Steinbeck genannt Meyer, H&M BremerhavenFoto: privat

„Die Ausstattung der H&M-Filialen mit digitalen Tools wird nach und nach umgesetzt. Dabei ist es sehr wichtig, dass wir den Tarifvertrag Digitalisierung erkämpft ­haben. Dort ist die Bewertung und die Gestaltung jeder neuen Technik festgelegt. Wenn beispielsweise eine Self-Checkout-Kasse in einer Filiale installiert wird, an der die Kund*innen die gewählten Waren selbst einscannen, sie mit Karte oder App bezahlen, zusammenlegen und einpacken, soll so freiwerdende Arbeitszeit für direkten Kundenservice eingesetzt werden – auch, um das Filialgeschäft zu stärken. Deshalb werden Beschäftigte eine tariflich vereinbarte Qualifizierung erhalten, um die Kundenberatung zu optimieren. Bei der Digitalisierung geht es also für uns immer darum, Tätigkeiten nicht ab-, sondern aufzuwerten.

Ein zentrales Thema des Tarifvertrages Digitalisierung ist die Mitgestaltung der Technik durch die Beschäftigten und ihre Betriebsräte. Wie wichtig das ist, zeigt sich bei den neuen technischen Systemen, die ,notwendige Zeiten‘ für Tätigkeiten anhand von Umsatz und Kundenströmen planen, um dann Personaleinsatzpläne digital zu ­erstellen. Das wollen wir mitgestalten, und unter anderem dafür haben wir im Tarifvertrag den Digitalisierungsausschuss eingerichtet, in dem ich mitarbeite. Über die neuen Planungssysteme könnte die Arbeit der Filialverantwortlichen ,überflüssig‘ werden, wenn es keine tariflichen Regeln geben würde, nämlich dass Technik dienen, Arbeitsplätze aber nicht ersetzen soll. Das ist keine theoretische Frage, denn wir haben erfahren, dass bei H&M in Schweden die Kassenverantwortlichen im Backoffice gestrichen werden.

Wichtig ist uns, die digitalen Entwicklungen im Zusammenhang mit Tätigkeiten, ­Arbeitsintensität, Belastungen, Arbeitszeiten und so weiter zu bewerten. H&M möchte gerne Vorreiter bei der Digitalisierung sein. Wir wollen Vorbild sein, indem die Interessen der Beschäftigten berücksichtigt werden. Das funktioniert nur, wenn das Unternehmen die Expert*innen für die Arbeit in den Filialen mitnimmt: Die Kolleg*innen, die die Abläufe kennen und wissen, was die Kunden, aber auch sie selber als Beschäftigte möchten. Übrigens ist gar nicht gesagt, dass die Self-Checkout-­Kassen angenommen werden. Es ist ein Unterschied, im Supermarkt Lebensmittel selbst einzuscannen, in die Tasche zu packen und zu bezahlen oder aber Kleidungsstücke nach Anprobe und Auswahl über das neue System. Viele Kund*innen lassen sich gerne die Ware zusammenlegen und einpacken. In Hamburg hat eine komplett digitalisierte Filiale von Bonprix schon wieder geschlossen. Das scheint also nicht zu funktionieren.“

Protokoll: Gudrun Giese

"Neue Technik kommt zu schnell zum Einsatz, darunter echte Datenkraken"

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Uwe Hamelmann, Ikea Braunschweig, Betriebsrats- und Gesamtbetriebsratsmitglied sowie ehrenamtlicher Verhandlungsführer im ver.di-Landesbezirk Niedersachsen-Bremen für den Tarifvertrag ZukunftFoto: privat

„Bei Ikea geht es rasant voran mit der Digitalisierung, doch das Unternehmen wehrt sich hartnäckig, mit ver.di über einen Tarifvertrag zur Regelung dieses Bereiches zu verhandeln. Nach meiner Einschätzung wären aber auch gesetzliche Bestimmungen nötig, die die Beschäftigten vor den ungebremsten Auswirkungen der Digitalisierung schützen. Betriebsräte allein haben hier nicht genug rechtliche Kompetenzen. Die Arbeit bei Ikea ändert sich durch die Einführung immer neuer technischer Systeme erheblich, und leider erhalten die Beschäftigten oft nur oberflächliche Einführungen. Da gilt dann ,learning by doing‘. Oft nehmen Kolleg*innen aber auch Arbeitsprobleme nach Hause mit und bearbeiten sie am Privattelefon. Hier wollen wir über eine Betriebsvereinbarung Grenzen ziehen, während der Tarifvertrag Zukunft Mindeststandards festsetzen und Beteiligungsrechte der Betriebsräte bei der Einführung digitaler Technik regeln soll.

Generell legt Ikea ein enormes Tempo vor. Viel zu schnell kommt neue Technik zum Einsatz, darunter auch echte Datenkraken, bei deren Anwendung gegen den Datenschutz verstoßen wird. Das geht überhaupt nicht. Wir Betriebsräte sind nicht gegen die Digitalisierung, aber sie darf nicht auf Kosten der Kolleg*innen gehen. Wenn tatsächlich Arbeitsplätze abgebaut werden müssen, hat das mitbestimmt zu geschehen. Absehbar werden Jobs im Kassenbereich wegfallen, denn die Systeme zum Selbstscannen und Bezahlen werden immer ausgefeilter. Inzwischen gibt es die Shopping-Go-App, die völlig ohne Ikea-Personal auskommt; die Kundschaft wählt die Ware und die Art der Bezahlung komplett übers Handy aus. Demnächst soll es in Düsseldorf das erste Ikea-Haus ohne klassische Kassen geben. Trotzdem wird derzeit niemand entlassen. Das Unternehmen setzt einfach auf Fluktuation, wodurch sich von 2021 zu 2022 die Beschäftigtenzahl um rund 1.200 in den deutschen Filialen verringert hat. Gleichzeitig findet Ikea nur schwer neue Mitarbeiter*innen, denn wegen der schlechten Bezahlung, der miesen Arbeitszeiten – regelmäßig an Samstagen – und des Schichtdienstes gilt das Unternehmen nicht gerade als guter Arbeitgeber. Kein Wunder, dass inzwischen der Krankenstand von fünf auf fast zehn Prozent hochgegangen ist. Deshalb wollen wir im Tarifvertrag Zukunft neben der Digitalisierung auch ein besseres betriebliches Gesundheitsmanagement regeln.“

Protokoll: Gudrun Giese

"Am Ende entscheidet der Mensch"

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Frank Remers, Vorsitzender Konzernbetriebsrat IBM DeutschlandFoto: privat

„Unser Unternehmen verwendet nicht nur digitale Technik, sondern entwickelt sie auch. So hat IBM vor über zehn Jahren das KI-Programm ,Watson‘ entwickelt, das sich in einer Quizsendung den menschlichen Mitratenden als deutlich überlegen erwies. Als eines der führenden Softwareunternehmen weltweit wollten wir den Einsatz Künstlicher Intelligenz regeln. 2020 konnten wir eine Konzernbetriebsvereinbarung (KBV) dazu abschließen. Von Anfang an waren wir uns mit der Arbeitgeberseite einig, dass in allen Fällen die KI menschliche Entscheidungen unterstützt und am Ende der Mensch entscheidet. Ein aktuelles Anwendungsbeispiel bei uns ist das Tool ,Skill Recommendation‘, ein selbst lernendes System, das Daten aus dem jeweiligen Arbeitsbereich sammelt und Beschäftigten auf dieser Grundlage eine Einschätzung zu persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz liefert. Nach der KBV fällt dieses Tool in den grünen Bereich, solange allein der oder die Beschäftigte und eventuell die zuständige Führungskraft Zugriff darauf hat. Es ist aber auch möglich, die Rückmeldung der Software zu ignorieren. KI wird bei uns generell in Personaldatensystemen verwendet, in die Daten, Algorithmen und Trainings einfließen. Hier ist es wichtig, stets aktuelle und korrekte Daten in die Systeme einzupflegen, denn KI kann nur sinnvoll agieren, wenn die verwendeten Informationen eine entsprechende Basis dafür liefern.

2019 starteten die Vorbereitungen für die KBV mit Diskussionen zwischen Arbeit­geber und uns über Erwartungen und Ziele an diese Rahmenvereinbarung. Ein dreiviertel Jahr später konnten wir sie bereits beschließen. Sie regelt Standards bei der Nutzung von KI-Systemen zu Transparenz, Erklärbarkeit, Nicht-Diskriminierung, Rückmeldung und Korrektur bei Fehlern sowie die Qualitätssicherung in Bezug auf die Daten und die Algorithmen. KI-Tools werden nach einem Ampelsystem beurteilt: Ein System wie ,Skill Recommendation‘, das sich gezielt an Beschäftigte richtet, gilt danach als unkritisch, also ,grün‘, während eine Anwendung, die grundlegende, automatische Entscheidungen über Beschäftigte treffen könnte, nach der KBV inakzeptabel, also ,rot‘ ist. Zu unserer Vereinbarung gehörte auch die Einsetzung eines Ethikrates, der sich aus Personalabteilung, Betriebsräten, Schwerbehindertenvertretung und internen Fachleuten zusammensetzt. Dieses Gremium überprüft bei den monatlich stattfindenden Treffen, wie die KBV umgesetzt wird und wie sie an konkrete Anforderungen angepasst werden muss.“

Protokoll: Gudrun Giese