Ausgabe 06/2023
Verhaftet, aber nicht vergessen
ver.di: Nachdem der Präsident des Congress of Democratic Trade Unions, Alexander Yaroshuk, den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine und Belarus gefordert hatte, wurden über 50 Gewerkschafter*innen inhaftiert. Viele von ihnen befinden sich nach wie vor im Gefängnis, und einigen drohen Haftstrafen von bis zu 12 Jahren. Das Europäische Parlament forderte im Mai dieses Jahres, dass sie unverzüglich freigelassen werden müssen. Wie ist die aktuelle Situation?
Mariya: Viele von den Inhaftierten sind älter und leiden an verschiedenen gesundheitlichen Problemen, darunter Herzkrankheiten und sogar Krebs. Es ist unwahrscheinlich, dass sie innerhalb der nächsten 10 bis 12 Jahre entlassen werden – du kannst dir vorstellen, wie schlimm das ist. Die Forderungen, nicht nur die Freilassung der Gewerkschaftsgefangenen, sondern aller politischen Gefangenen in Belarus wurden jedoch aufgrund der engen Beziehungen von Belarus zu Russland nicht beachtet. Das Regime scheint sich nicht von internationalen Regeln, Resolutionen oder Sanktionen beeinflussen zu lassen.
Warum macht das Regime Jagd auf Gewerkschaftsmitglieder?
Der Staat in Belarus ist Hauptarbeitgeber des Landes – das staatliche System ist auf der bewussten und systematischen Verletzung der Arbeitnehmerrechte aufgebaut. Die Instrumente zur Verwurzelung dieses Systems sind Präsidialdekrete, kontrollierte Ministerien und staatliche Gewerkschaften. Aus diesem Grund sind die Arbeitsverträge in Belarus meist auf ein Jahr befristet. Das macht die Arbeitnehmer völlig abhängig von der Regierung und gibt ihnen keine Möglichkeit, sich gewerkschaftlich schützen zu lassen. Unabhängige Gewerkschaften stellen daher eine Bedrohung für das Regime dar.
Was ist eurer Meinung nach notwendig, um die Vereinigungsfreiheit und die Arbeitsrechte in Belarus wiederherzustellen?
Wir arbeiten derzeit an Ideen und Maßnahmen zur Einrichtung eines Rates für Belarus und laden alle unsere Partner und Organisationen ein, an den Diskussionen über diese Maßnahmen teilzunehmen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, auf politischer und staatlicher Ebene in den EU- Mitgliedstaaten und möglicherweise darüber hinaus auf Veränderungen zu drängen. Dazu gehört auch, dass die belarussische Regierung für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen und die Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation eingehalten werden. Es ist aber vor allem wichtig, die Beschäftigten in Deutschland und anderen Ländern über die tatsächliche Situation in Belarus zu informieren, um Fehlinformationen durch Propaganda entgegenzuwirken.
Interview: Rita Schuhmacher
Mariya lebt aktuell in Deutschland im Exil.