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Lisette Hörig, die neue Vorsitzende des ver.di- GewerkschaftsratsFoto: Kay Herschelmann

Lisette Hörig ist die neue Vorsitzende des ver.di-Gewerkschaftsrats. Damit ist die 42-Jährige die höchste ehrenamtliche Repräsentantin ver.dis. Mit leuchtend grüner Jacke, weißem T-Shirt, Jeans und Turnschuhen steht sie an ihrem Wahltag auf der großen Bühne des Kongresses, verabschiedet gemeinsam mit dem ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke Kolleg*innen, die sich seit vielen Jahren in ver.di engagiert haben. Begrüßt am nächsten Tag routiniert mit ihm Politiker wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD, und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Bündnis 90/Die Grünen.

Doch auch in diesem höchsten Amt bleibt sie bodenständig: "Ich bin hier als Nominierte meiner Betriebsgruppe in der Arbeitsagentur Saarland." Sie ist deren Vorsitzende. Die Arbeit vor Ort erde sie, sagt sie. Bei allem, was sie gewerkschaftlich tut und anstößt, denkt sie darüber nach, wie das bei den Kolleg*innen vor Ort ankommt. Selbst die "große Politik" müsse so runtergebrochen werden, dass deren Auswirkungen für die einzelnen verständlich sind – egal ob in Beschlüssen, Veröffentlichungen oder Reden, und natürlich auch bei den ver.di-Aktivitäten in Betrieben, Dienststellen, Fachbereichen und Bezirken. "Man muss die Leute mitnehmen", sagt sie. Diese Ausrichtung will sie auch in ihrem Amt als Gewerkschaftsratsvorsitzende beibehalten und weiter fördern.

1998 begann Lisette Hörig ihre Ausbildung zur Fachangestellten für Arbeitsmarkt-Dienstleistungen beim Arbeitsamt in Saarbrücken. "Ich wollte im Büro arbeiten", sagt sie. Und das Arbeitsamt war damals "ein attraktiver großer Arbeitgeber, der zu der Zeit modern war". Doch für die Beschäftigten der Arbeitsämter begannen Anfang des Jahrhunderts turbulente Zeiten. Angeblich geschönte Vermittlungszahlen, öffentliche Kritik an der Arbeit der Beschäftigten, als Folge die Umbenennung der Ämter in Agenturen, die Einführung von Hartz IV und die Unterteilung in Arbeitsagenturen und Jobcenter sind da nur einige Stichwörter. Lisette Hörig begleitete diese aufwühlenden Zeiten als Jugendvertreterin auf verschiedenen Ebenen der Bundesagentur. Denn kaum war die Auszubildende in die Gewerkschaft eingetreten, engagierte sie sich in der Jugend- und Auszubildendenvertretung und auch in ver.di, jeweils auf verschiedenen Ebenen. "Bei uns ist immer was los, immer wieder wird umorganisiert", sagt sie mit Blick auf ihren Arbeitgeber. Nur die öffentliche Diskussion, die Arbeitsverwaltung abzuschaffen, die sei vom Tisch.

So viele Ämter, so aktiv

Nicht geändert hat sich auch ihr Engagement, sowohl in der Bundesagentur für Arbeit als auch in ver.di. Aktuell ist sie Mitglied des örtlichen Personalrats und des Hauptpersonalrats. Sie ist in vielen verschiedenen ver.di-Gremien aktiv, im Fachbereich und in der Ebene, sowohl im Bezirk als auch im Land und Bund, bis hoch zum Gewerkschaftsrat, dem sie seit 2010 angehört. Alle Ämter aufzuzählen habe keinen Zweck, sagt die Powerfrau und entschuldigt sich fast dafür, dass sie nicht auch noch in verschiedenen ver.di-Personengruppen aktiv ist.

Freizeit hat sie, wenn auch wenig. Die verbringt sie mit ihren Podencos Karl und Marlene, zwei Hunden aus dem spanischen Tierschutz, für den sie sich natürlich auch noch engagiert. Sie geht im Urlaub besonders gern wandern, macht Sport, geht joggen oder ins Fitnessstudio. Mit Freund*innen trifft sie sich auch, man fragt sich nur wann. "Manchmal liege ich auch auf der Couch", sagt sie, verschmitzt lächelnd, oder geht für drei Stunden mit den Hunden in den Wald. Immer so, wie der Kalender es zulässt. Treffen auf Zuruf – daran hätten sich alle in ihrem Umfeld schon gewöhnt.

Was motiviert sie für diesen hohen Einsatz? "Ich sehe Probleme und kann mich auch darüber aufregen. Aber dann gehe ich nach vorne und sehe zu, wie ich das ändern kann", sagt sie. Sie beschreibt sich als "positiv eingestellt", wolle sich nicht lange an Negativem aufhalten. Als Gewerkschaftsratsvorsitzende will sie dem betrieblichen Ansatz der Gewerkschaftsarbeit mehr Raum verschaffen. Das müsse im Fokus stehen. Nur so könne ver.di Mitglieder gewinnen und damit noch stärker werden.

Dazu hat sie bereits als Präsidiumsmitglied des Gewerkschaftsrats das Projekt "Zukunft der Mitgliedergewinnung" ins Leben gerufen. Ein Forum zum Austausch über Konzepte zur Ansprache und Gewinnung von Mitgliedern, vor Ort erprobt. "Man muss ja das Rad nicht immer neu erfinden." Gemeinsam mit ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Meister hat sie es ans Laufen gebracht – und dabei die Erfahrung gemacht, dass sich Haupt- und Ehrenamt gleichrangig begegnen. "Das muss selbstverständlich werden, denn ver.di ist eine Ehrenamtsorganisation" – auch diesen Anspruch will sie durch ihr neues Amt fördern.

Schluss mit der Stellvertreterpolitik, Lisette Hörig will die in den Mittelpunkt stellen, um die es geht: die ver.di-Mitglieder. Sie müsse man in die Lage versetzen, etwas zu sagen, etwas zu organisieren, ihre Ideen einzubringen und durchzusetzen. Das sollte selbstverständlich sein.

Ein Staffelstab und ein Flamingo

Nach ihrer Wahl bekam Lisette Hörig von ihrer Vorgängerin Martina Rößmann-Wolf nicht nur einen Staffelstab überreicht, sondern auch einen Flamingo. Die zählen zu den Lieblingstieren der gebürtigen Sachsen-Anhaltinerin. "Gleichgewicht halten, Schwung, Aufgeschlossenheit, Lebendigkeit – dafür stehen Flamingos", sagt Rößmann-Wolf, sie hat zu den Eigenschaften der Vögel recherchiert. Eigenschaften, die auch ihre Nachfolgerin beschreiben, da ist sie sich sicher.

Beim Kongress sitzt Lisette Hörig als Gewerkschaftsratsvorsitzende jetzt auf der rechten Seite des Podiums, gemeinsam mit ihren Vorstandskolleg*innen und dem ver.di-Bundesvorstand. Manchmal geht ihr Blick nach links, wo die Kongressleitung sitzt. Dort war ihr Platz bei den vergangenen beiden Kongressen. Nachdem sie 2015, im Vorfeld des 4. ver.di-Bundeskongresses, die Bundesfachbereichkonferenz Sozialversicherung mitgeleitet hatte, hat das heutige ver.di-Bundesvorstandsmitglied Detlef Raabe sie gefragt, ob sie nicht im Team der Kongressleitung mitmachen wolle.

"Ich bin fast tot vom Stuhl gefallen", erinnert sie sich. Doch sie hat auf Raabes Einschätzung vertraut, schließlich kennen sich die beiden noch aus gemeinsamen Zeiten in der ver.di Jugend. "Ich habe mich darauf eingelassen und es nicht bereut", sagt sie, auch wenn sie vor dem Kongress "derbe aufgeregt" gewesen sei. Aber ein tolles Team habe sich gegenseitig Sicherheit gegeben, egal wie hoch her es bei den Diskussionen des Kongresses gegangen sei. So ist sie fast ein bisschen wehmütig, dass sie dieses Mal auf der rechten Seite der Bühne Platz nimmt. Aber nur kurz, denn jetzt blickt sie nach vorne auf das, was sie als Vorsitzende des Gewerkschaftsrats bewegen will – wieder in einem tollen Team.

Der ver.di-Gewerkschaftsrat

Vor der Vorstandswahl hat sich der ver.di-Gewerkschaftsrat konstituiert. Seine neue Vorsitzende ist Lisette Hörig. Sie löst Martina Rößmann-Wolf ab, die nach vier Jahren im Amt nicht mehr zur Wahl angetreten ist. Im Präsidium des Gewerkschaftsrats sind außerdem Carina Dejna, Silke Mayer-Seidler, Constantin Greve und Olaf Harms. Das Präsidium des Gewerkschaftsrats ergänzen Katrin Tremel als Vorsitzende des Personalausschusses und ihre Stellvertreterin Michaela Müller-Klang sowie Isabell Senff als Vorsitzende des Haupt- und Finanzausschusses des Gewerkschaftsrats und ihre Stellvertreterin Sabine Gruber. Der Gewerkschaftsrat ist das höchste ver.di-Gremium zwischen den Bundeskongressen. Seine ehrenamtlichen Mitglieder bilden einen Querschnitt der Organisation ab.