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Lesia Seminiaka von der ukrainischen Gewerkschaft für die Beschäftigten der Atomkraftwerke über ihre Arbeit im KriegFoto: Kay herschelmann

ver.di: In Saporischschja steht das größte europäische Kernkraftwerk. Seit Kriegsbeginn ist es in russischer Hand. Habt ihr Kontakt zu den verbliebenen Beschäftigten dort?

Lesia Seminiaka: Im Moment kennen wir die genaue Zahl der Arbeiter nicht, die sich noch im Kraftwerk aufhalten, aber wir denken, dass es etwa 1.200 bis 1.500 Arbeiter sind. Vor dem Krieg gab es 11.000 Beschäftigte im Werk. Etwa 9.000 Arbeiter konnten in das von der Ukraine kontrollierte Gebiet gebracht werden, und wir wissen, dass das Unternehmen Gehälter an alle Nukleararbeiter zahlt, die geflohen sind. Aber diejenigen, die in Saporischschja bleiben mussten, sind in großer Gefahr, ihre Leben sind bedroht. Wir stehen in Kontakt mit ihnen, so gut es geht.

Gleich zu Beginn des Krieges wurden einige Arbeiter getötet, die sich Befehlen der Russen widersetzten. Wisst ihr, wie die Arbeitsbedingungen aktuell sind?

Im Atomkraftwerk gibt es eine Folterkammer, und eine Reihe unserer Gewerkschafter waren in dieser Kammer. Einer von ihnen konnte fliehen. Durch ihn haben wir von der Folterkammer erfahren, aber wir wissen nicht, wie viele Menschen gefoltert, wie viele Menschen getötet wurden. Diese Folterungen und die Besetzung des Atomkraftwerks sind ein großer Akt des Nuklearterrorismus. Niemand kennt eine solche Situation.

Was können die Kontrolleure der Internationalen Atomenergiebehörde ausrichten?

Wir wissen von zwei Kontrolleuren, dass sie nicht hingehen dürfen, wohin sie wollen. Sie können nur dort kontrollieren, wo es ihnen die Russen erlauben. Das heißt, die Folterkammer existiert immer noch. Wir wissen auch, dass die Maschinenräume mit Fahrzeugen vollgestopft sind, auch mit bewaffneten Fahrzeugen mit verschiedenen Waffen.

Was bedeutet das für die nukleare Sicherheit?

Wir kennen nicht alle Details, aber wir wissen, dass es einige technische Probleme gibt. Die Situation ist gefährlich, weil radioaktives Wasser bereits in die Kühlbecken gelangt. Und das ist sehr gefährlich, weil es der erste Schritt zur nuklearen Katastrophe ist.

Wie hat sich eure Arbeit seit dem Beginn des Krieges verändert?

Die Arbeit hat sich gründlich verändert. Wir helfen allen unseren Mitgliedern, die vom Krieg betroffen sind. Wir helfen auch den Mitgliedern, die sich der ukrainischen Armee angeschlossen haben. Es sind schon viele von ihnen verletzt worden und eine Reihe gestorben. Wir unterstützen ihre Angehörigen finanziell und materiell. Leider sind auch schon viele Gewerkschafter an der Front gestorben.

Woher nehmt ihr das Geld für die Betroffenen, wenn viele nicht mehr für ihre Mitgliedschaft in eurer Gewerkschaft bezahlen können?

Dank der internationalen Solidarität haben wir etwas finanzielle Unterstützung erhalten, und wir sammeln Geld. Wir sind da solidarisch. Unsere Kernkraftwerke von Chmelnizkij, Riwne und Pivdeno haben den Mitgliedern in Saporischschja sofort geholfen.

Interview: Petra Welzel