Nur noch 46 Prozent der Beschäftigten in Hamburg sind an Tarifverträge gebunden – Tendenz fallend. Das führt nicht nur zu Nachteilen für die Beschäftigten, sondern richtet auch erhebliche volkswirtschaftliche Schäden an. Der DGB hat im letzten Jahr mit einer Tarifflucht-Bilanz genau nachgerechnet und das Ergebnis ist schockierend: Bundesweit hätten die Beschäftigten bei einer flächendeckenden Tarifbindung rund 60 Milliarden Euro im Jahr mehr im Portemonnaie gehabt. In die Sozialversicherung würden 43 Milliarden Euro mehr fließen, zudem kämen 27 Milliarden Euro an Mehreinnahmen über die Einkommenssteuer.

Auch Hamburger Unternehmen entziehen sich ihrer Verantwortung und begehen Tarifflucht. Zum Beispiel bei Thalia, Douglas, TK Maxx und nicht zuletzt in Hagenbecks Tierpark oder bei MOIA. Dort kämpfen die Beschäftigten darum, von dem Schutz eines Tarifvertrages profitieren zu können.

Die DGB-Gewerkschaften haben deshalb die Kampagne „Eintreten für die Tarif­wende“ initiiert. „Durch die Tarifflucht der Unternehmen verdienen die Beschäftigten nicht nur weniger, sondern die Unternehmen verlieren auch deutlich an Attraktivität für die dringend gesuchten Fachkräfte“, sagt Tanja Chawla, die DGB-Vorsitzende in Hamburg. Die Datenlage zeigt: Tarifverträge sichern Beschäftigung, fördern die Entgeltgerechtigkeit und gestalten aktiv die Veränderungen der Arbeitswelt unter dem Stichwort Transformation. „Insbesondere die Steigerung der Kaufkraft niedriger und mittlerer Einkommen stärkt den Konsum und damit die Wirtschaftsleistung unseres Landes“, so Chawla.

Sandra Goldschmidt, Landesleiterin bei ver.di Hamburg, nimmt die Politik in die Pflicht: „Der Hamburger Senat kann hier konkret handeln: Hamburg braucht endlich ein Tariftreuegesetz, in dem verbindlich geregelt ist, dass öffentliche Aufträge und Fördergelder nur an tarifgebundene Unternehmen gehen.“ Auch eine Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung, mit der ein Tarifvertrag für die gesamte Branche Gültigkeit erlangt, sei überfällig, zum Beispiel im Einzelhandel.

Die DGB-Gewerkschaften erwarten, dass der Tarifflucht ein Riegel vorgeschoben wird. Das erwartet auch die EU-­Kommission: Deutschland hat noch bis November 2024 Zeit, um die Mindestlohnrichtlinie umzusetzen, die eine ­Tarifbindung von 80 Prozent in allen EU-Mitgliedsländern vorsieht. Die Bundesrepublik, aber auch Hamburg als Stadtstaat sind davon weit entfernt.