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Ralf Bogen (r.) möchte, dass das NS-Unrecht nicht vergessen wirdFoto: Privat

ver.di publik: Welche Erfahrungen hast Du als queerer Mensch am Arbeitsplatz gemacht?

Ralf Bogen: Vielleicht habe ich einfach Glück gehabt, aber ich habe mit meinen Kolleg*innen und Vorgesetzten bei der DSV-Gruppe am Standort Stuttgart nur gute Erfahrungen gemacht. Bei Gesprächen am Arbeitsplatz fließt ja immer mal ein, mit wem Mensch in Urlaub fährt, mit wem Mensch zusammenlebt oder in ein Konzert geht. Da habe ich mich gegenüber meinen Kolleg*innen nicht verstellt und meinen Partner nicht verleugnet. Zu Beginn meines Berufslebens, in den ­Zeiten der Aidskrise, war ich vorsichtiger damit, wem ich private Details über mich anvertraue. Mittlerweile erscheint mir ­zumindest die schwul-lesbische Emanzipationsbewegung in der Arbeitswelt relativ angekommen. Die Zeiten haben sich deutlich verändert. So konnte ich 2019 mit 57 Jahren heiraten und habe es mir nicht nehmen lassen, die Hochzeit und Liebe zu meinem Mann auch mit meinen Kolleg*innen ordentlich zu feiern.

Warum ist es für queere Menschen wichtig, am Arbeitsplatz offen sein zu können?

Wenn unter offen sein das Bedürfnis verstanden wird, authentisch leben zu können, so denke ich, ist dies für alle Personen wichtig. Dafür spielt die Sichtbarkeit queerer Menschen am Arbeitsplatz eine wichtige Rolle. Diese wird bei queeren Netzwerken schon allein durch sichtbare Akteur*innen gefördert. Wenn jüngere queere Menschen heute einen Arbeitsplatz suchen, achten sie mit darauf, ob und was die Firmen auf ihren Webseiten zu Diversity mitteilen und ob es queere Netzwerke gibt. Das konnte ich damals bei meinem Berufsstart noch nicht.

Ihr habt bei der DSV-Gruppe, einem Dienstleister für Sparkassen und Unternehmen und Verbände der Sparkassen-Finanzgruppe, am Standort Stuttgart eine queere Betriebsgruppe gegründet. Wie ist es dazu gekommen?

Bei größeren Unternehmen ist „Diversity Management“ (Management der Vielfalt, Anmerk. d. Red.) mittlerweile relativ „in“. Diesen Trend haben wir bei der DSV-Gruppe genutzt. Wir haben Kontakt zu Kolleg*innen der Sparkasse Berlin und der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) in Stuttgart aufgenommen, die bereits queere Netzwerke gegründet hatten. Durch meine lange Betriebszugehörigkeit hatte ich gedacht, ich kenn schon alle queeren Kolleg*innen bei uns am Standort Stuttgart. Nach der Gründung unserer Gruppe gab es dann erheiternde Überraschungen. Die Gründung der Betriebsgruppe hat noch mal einen deutlichen Ruck in Richtung spürbarer Akzeptanz gegeben.

Wie haben die anderen Kolleg*innen darauf reagiert?

Was die Vernetzung queerer Kolleg*innen angeht, habe ich überwiegend positive Reaktionen erlebt. Am sogenannten ‚Diversity‘-Tag konnten wir zudem Vorträge zu Themen anbieten, die lange Zeit am Arbeitsplatz tabuisiert waren, wie (A-⁠)Sexualität oder geschlechtliche Vielfalt – und diese wurden gut angenommen. Viele begrüßen, dass heute klar Position gegen Homo- und Transphobie und weitere Formen der Diskriminierung auch in der Arbeitswelt eingenommen wird. Es ist ein wichtiges Zeichen in Zeiten, in denen Ausgrenzung und Diffamierung durch den politischen Aufschwung der AfD zugenommen haben.

Macht Dir das Sorgen?

Ja, schon. Bei zwei Themen sind sich rechtspopulistische bis neofaschistische Kräfte relativ einig: bei der Remigration, also rassistischen Deportations- und ­Vertreibungsplänen von Millionen Migrant*innen und bei der Ablehnung aller Maßnahmen zum Schutz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Letztere werden völlig absurd als Angriff auf die Familie und auf das Wohl von Kindern und Frauen umgedeutet und verächtlich als „Regenbogenmist“ und „Genderwahn“ diffamiert. Da ist es wichtig, dass von allen Kolleg*innen erkannt wird, dass es hier eben nicht nur um Minderheiten geht, sondern letztlich um unser aller Freiheit.

Welche Rolle spielen Gewerkschaften dabei?

Unternehmen rühmen sich bei „Diversity“-Tagen oft damit, sich für Chancengleichheit, Gleichberechtigung und das Wohlbefinden aller einzusetzen. Gleichzeitig sind es jedoch oft genau diese Unternehmen, die seit Jahren die Einkommensunterschiede zwischen Vorständen und Mitarbeitenden weiter vergrößern und in der Praxis eine Politik der sozialen Ungleichheit betreiben. Beispielsweise werden tarifgebundene Arbeitsplätze durch verschiedene Maßnahmen in tarifungebundene umgewandelt. ver.di kämpft für die Vielfalt, aber auch und

insbesondere für gute Tarife. Der mittler­weile krass gewachsene Gegensatz in der Bundesrepublik zwischen wenigen Super­reichen und dem Rest der Gesellschaft, in der heute circa ein Fünftel in Armut ­leben muss, wird durch die spalterische Demagogie rechtspopulistischer bis neofaschistischer Kräfte verschleiert. Gleichzeitig ist diese inhumane Entwicklung ein Nährboden dafür, dass der Einfluss der extrem rechten Kräfte größer geworden ist. Queere Netzwerke in ver.di sind hier sehr wichtig, damit Vielfalt, Akzeptanz und gute Tarife nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Du engagierst Dich auch für die Aufarbeitung der NS-Verbrechen an queeren Menschen mit dem Internetprojekt der-liebe-wegen.org. Was wollt ihr mit dem Projekt erreichen?

Mit der Sichtbarmachung von 250 Einzelschicksalen von Opfern der faschistischen Diktatur sowie von Dokumenten, die etwa die Einweisung in Konzentrationslager durch regionale Polizeidienststellen, Häftlings-Personal-Karteien oder Todesmeldungen aus den Lagern belegen – wollen wir erreichen, dass das NS-Unrecht nicht in Vergessenheit gerät. Unser Projekt haben wir „Der-Liebe-wegen“ genannt, weil schwule Männer lange nur auf Sex reduziert wurden. Lesbischen Frauen wie Frauen insgesamt wurde hingegen eine eigene Sexualität abgesprochen. Wir wollen mit dem Projekt auch zu mehr Akzeptanz der menschlichen Liebes- und Lebensvielfalt beitragen. Damit der Faschismus nicht verharmlost werden kann, engagiere ich mich dafür, dass die NS-Verbrechen gegenüber queeren Menschen weiter aufgearbeitet und sichtbar gemacht werden.

Interview: Heike Langenberg

Ralf Bogen (63 Jahre) arbeitet bei der DSV-Gruppe am Standort Stuttgart und ist jetzt in der passiven Phase seiner ­Altersteilzeit. Unter anderem hat er dazu beigetragen, dass dort eine queere Betriebsgruppe entstanden ist. 2021 wurde er für sein langjähriges Engagement als wichtiger Akteur in der baden-württembergischen Erinnerungsarbeit im Bereich queerer Menschen mit dem Bundes­verdienstkreuz ausgezeichnet. Zu den Projekten zählen die Webseite „Der Liebe wegen“ (der-liebe-wegen.org) oder der Erinnerungsort Hotel Silber (hdgbw.de/hotel-silber) mit einer Ausstellung zu Polizei, ­Gestapo und Verfolgung.