Ausgabe 08/2024
Gute Arbeit ist das Ziel für alle
"Viele Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten in prekären Verhältnissen – schlecht bezahlt, befristet, oft unterhalb ihrer Qualifikation", sagt Romin Khan fest, Leiter des ver.di-Referats Migrationspolitik. Das belegt auch die vor kurzem veröffentlichte Sonderauswertung nach dem DGB-Index Gute Arbeit. Auf Initiative von ver.di wurde hier erstmals repräsentativ untersucht, wie die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in Deutschland aussehen, die selbst oder deren Eltern eingewandert sind. Die Bilanz wirft insgesamt kein gutes Bild auf Politik und Arbeitgeber. "Es fehlt oft an Sensibilität diesem Thema gegenüber", weiß Romin Khan. So erhielten gerade die Eingewanderten am wenigsten Fortbildungsangebote oder Sprachkurse, die am dringendsten darauf angewiesen wären. Politik und Unternehmen müssten erheblich mehr tun.
Hamit Assan (Name geändert) arbeitet seit mehr als zwei Jahren für einen Postzustelldienst in Berlin. Der aus Syrien geflüchtete Mann war froh, dass er nach kurzer Einarbeitungszeit diesen Job übernehmen konnte. "Aber ich hätte doch gerne eine Festanstellung. Schließlich schaffe ich inzwischen das gleiche Pensum wie andere Kolleg*innen. Auch beim Lohn möchte ich besser eingruppiert werden.", sagt der 28-Jährige.
Die Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit belegt, dass 25 Prozent der aus dem nicht-europäischen Ausland eingewanderten Beschäftigten befristet angestellt sind, während diese ungesicherte Art der Anstellung lediglich 5 Prozent der Menschen ohne Migrationshintergrund betrifft. Nahezu die Hälfte der von außerhalb Europas Eingewanderten findet nur Arbeit im Anlernsektor und wird entsprechend gering entlohnt.
So wie Hamit Assan. "Ich mache mir oft Sorgen, weil das Geld kaum reicht. Noch schlimmer wäre es aber, wenn ich keinen neuen Vertrag mehr bekommen würde." Er spricht inzwischen gut Deutsch, hat viele Kontakte zu anderen Beschäftigten – und möchte endlich "richtig ankommen", auch an seinem Arbeitsplatz.
"Ich mache mir oft Sorgen, weil das Geld kaum reicht. Noch schlimmer wäre es aber, wenn ich keinen neuen Vertrag mehr bekommen würde." Postzusteller in Berlin
Schon heute sind gut 12 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in der Bundesrepublik erwerbstätig. Einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gingen bei der letzten Erfassung Ende 2022 5,1 Millionen Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft nach, das entsprach einem Anteil von 14,7 Prozent der 34,7 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hierzulande. In den kommenden Jahren wird der Anteil deutlich zunehmen, zeigen Prognosen. Altersbedingt gehen demnächst die Angehörigen der geburtenstarken Jahrgänge (1955 bis 65) in den Ruhestand, sodass sich große Lücken auf dem Stellenmarkt auftun. Ob im Gesundheitswesen, in Kindertagesstätten oder der Logistik, in vielen Branchen werden dann noch mehr Fachkräfte gesucht als jetzt schon. Einwanderung wird für den Arbeitsmarkt deshalb weiter an Bedeutung gewinnen.
Doch dazu gehöre es, Menschen mit Migrationshintergrund willkommen zu heißen, ihnen einen guten Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, vorhandene Qualifikationen anzuerkennen und Fortbildungen anzubieten. "Leider wünscht sich längst nicht jeder Arbeitgeber Beschäftigte mit guten Deutschkenntnissen", weiß Romin Khan. Denn: Wer sich besser verständigen könne, sei eher in der Lage, seine Rechte als Arbeitnehmer einzufordern und sich gegen schlechte Bedingungen zu wehren. Auch ein unsicherer Aufenthaltsstatus – wie er bei Geflüchteten in Duldung oft üblich sei – mache Menschen erpressbar und führe dazu, dass sie schlecht bezahlte Helfertätigkeiten in befristeter Anstellung und ohne Zukunftsperspektiven hinnähmen. Ein weiteres Problem sei die lange Dauer oder die fehlende Möglichkeit in einem Anerkennungsverfahren, die eigene berufliche Qualifikation nachzuweisen.
Es sei vor allem wichtig, betont Romin Khan, dass Menschen mit Migrationshintergrund in ihrer Tätigkeit Respekt erfahren. Arbeit fördere Zugehörigkeit, wenn sie Beschäftigte in die Lage versetze, für sich selbst zu sorgen und sie einen sicheren Arbeitsplatz hätten. "Ein ausreichendes Einkommen bietet wirtschaftliche Eigenständigkeit und ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe." Die Politik müsse nun ihre Hausaufgaben erledigen und die Arbeitsbedingungen der bereits hierzulande beschäftigten Migrant*innen aufwerten und verbessern, bevor verstärkt um Arbeitskräfte aus dem Ausland geworben werde. "Gute Arbeit muss das Ziel für alle sein – für eingewanderte Beschäftigte hat sie eine besondere Bedeutung."
Die Arbeitsbedingungen migrantischer Beschäftigter werden künftig für jeden DGB-Index Gute Arbeit erfasst. Mehr unter kurzlinks.de/aa4m