Im Frühjahr 2023 hatten die Beschäftigten am Universitätsklinikum Gießen Marburg (UKGM) in einem mehrwöchigen Streik einen Tarifvertrag Entlastung (TVE) erstritten. Seither stehen ihnen freie Tage, oder teilweise Geld, als Ausgleich für Belastungssituationen zu. Zudem sollen neue Stellen geschaffen werden, um die Beschäftigten zu entlasten.

ver.di wollte wissen, wie weit die Ziele inzwischen erreicht sind? Um den aktuellen Stand zu ermitteln, haben hunderte Pflegekräfte, Hebammen, Physiotherapeut*innen, Radiologie-Assistent*innen und weitere Krankenhausbeschäftigte am 14. November am UKGM an beiden Standorten anwesendes Personal und Unterbesetzungen in allen Krankenhausbereichen dokumentiert. Regelmäßig wird bislang nur in einigen Bereichen, wie Pflege, Funktionsdienst oder Radiologie, die Personalsituation nach TVE erfasst.

Kritik an der Klinikleitung

Aus ver.di-Sicht ist es an der Zeit, dass die Geschäftsführung alle Bereiche flächendeckend erfasst. Irritierend seien Aussagen von der Geschäftsführung, sie wolle die Einführungsphase des TVEs und die pauschale Gewährung von Entlastungstagen verlängern, sagt Fabian Dzewas-Rehm von ver.di, der das UKGM betreut. "Während der Arbeitgeber nichts hinbekommt, haben die Beschäftigten gezeigt, dass Erfassung, Dokumentation und Auswertung möglich sind", betont er.

Kleine Erfolge

Die flächendeckende Kontrolle der gesamten Personalsituation am 14. November hat gezeigt, dass sich alle Personalbereiche weiter zur Decke strecken müssen, auch wenn es überall kleine Erfolge gibt. So hat beispielsweise für Therapie, Schule und Ambulanz ein Personalaufbau stattgefunden, doch es fehlen noch Kräfte. In den Ambulanzen ist bislang keine richtige Entlastung spürbar. Und schlecht ist weiterhin auch die Personalsituation in der Physiotherapie; dort wird es sogar weniger Personal trotz Dauerausschreibungen der offenen Stellen.

Im Bereich Technik und Verwaltung gibt es kleine Lichtblicke und Fortschritte, beispielsweise in Marburg im Sicherheitsdienst, in der Kommunikationstechnik, im Hol- und Bringdienst und in der Mikrobiologie. "Die Fünf-Tage-Woche bei uns im Sicherheitsdienst ist noch nicht ganz umgesetzt, aber der Kräfteaufbau hat stattgefunden, sogar relativ zeitnah und wir haben zu unserem Schutz sogar mehr bekommen als erstreikt wurde", sagt André Schreiner vom Sicherheitsdienst am UKGM. Auch in Gießen finden sich positive Entwicklungen, beispielsweise für die Abrechnung und im Zentrallabor. Doch es bleiben auch dort viele Bereiche, die weiterhin unterbesetzt sind.

Weniger Belastung wichtiger als Geld

In der Pflege, im Funktionsdienst und in der Radiologie wurden die Belastungen bereits laufend gemäß dem TVE schichtgenau erfasst. Die Stichproben vom 14. November bestätigten, in der Neurologie und Radiologie ist die Fluktuation weiterhin sehr hoch, dort stopfen Neueinstellungen gerade mal die Löcher. Ein Hoffnungsschimmer: Auf den Intensivstationen hat sich die Personalsituation verbessert, auch wenn dort noch immer belastete Schichten überwiegen.

"Am besten läuft es in den Bereichen, in denen wir im Streik für den TVE stark aufgestellt waren", berichtet Intensivpfleger Uli Stroh. "Kleine Teams in den Normalstationen haben es am schwersten. Deutliche Besserung gibt es bei uns durch nicht belegbare Betten. Die Betten werden erst freigegeben, wenn genug Personal vorhanden ist. Wir hoffen, dass wir neue Kolleginnen und Kollegen dazubekommen. Mir ist belastungsfreies Arbeiten wichtiger als mehr Geld."

"Es muss noch mehr passieren", sagt der Gewerkschafter. "Wir alle hatten die Erwartung, dass sich mit dem Abschluss des Tarifvertrags schneller etwas verbessert." Aber die kleinen Schritte nach vorne geben auch Hoffnung. Zudem sei nun eine Diskussion über die Personalvorgaben möglich und die Klinikleitung müsse sich rechtfertigen, wenn zu wenig Personal da ist. Auch hat das UKGM angekündigt, bis Ende 2025 das neue Dienstplansystem zur Personalerfassung anzuschaffen. An anderen Unikliniken wird das bereits angewandt. "Das UKGM sollte sich beeilen, die Ziele des TVE vollständig zu erreichen und nicht länger auf Übergangszeit zu setzen", so Dzewas-Rehm.

Marion Lühring