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Unter den Amazon-Beschäftigten wird die internationale Solidarität seit Jahren gelebtFoto: Kay Herschelmann

In großen Buchstaben verkündet Amazon auf der Startseite: „Der Black Friday ist da“, wirbt mit WOW- und Blitzangeboten. Pünktlich dazu marschieren in Bad Hersfeld hunderte Beschäftigte durch die Straßen, sie stoppen den Verkehr, pusten in ihre Trillerpfeifen – und rufen immer und immer wieder: „Make Amazon Pay!“ Amazon soll zahlen!

Beschäftigte des Onlineversandhändlers in über 30 Ländern nutzen den Black Friday für einen internationalen Streiktag: Gemeinsam fordern sie bessere ­Arbeitsbedingungen und faire Löhne bei Amazon, weltweit. Alleine in Deutschland streiken über 2.000 Arbeitskräfte. Bei der diesjährigen zentralen Aktion in Osthessen laufen in der ersten Reihe ­hinter dem knallroten Transparent auch Kollegen aus England, Italien, Schweden und den USA mit. Michael Daddio ist aus Chicago angereist. „Es ist fantastisch, zusammen mit so vielen Menschen auf die Straße zu gehen“, sagt der junge Mann, blaue Amazon-Weste über dem grauen Kapuzenpulli. „I love it!“

„Danke an alle in Deutschland! Wir wissen nicht, wo wir in den USA ohne euch wären!“
Jessie Moreno, Amazon-Beschäftigter aus Kalifornien

Die Kundgebung in Bad Hersfeld wird per Livestream übertragen, Kolleg*innen aus anderen Standorten werden zugeschaltet, kurze Videobotschaften abgespielt. Auf der Bühne berichtet Michael Daddio, dass er in Chicago als Fahrer für Amazon gearbeitet habe. Im Frühling sei er gekündigt worden, zusammen mit über 100 Kollegen, weil sie sich in der Gewerkschaft organisiert hätten. Seit fast fünf Monaten streiken sie. Jubel im Publikum. Neben ihm ruft Jessie Moreno aus Kalifornien ins Publikum: „Danke an alle in Deutschland! Wir wissen nicht, wo wir in den USA ohne euch wären!“

Auch Mohammed Jemal aus England lobt den jahrelangen Einsatz der Kolleginnen und Kollegen in Deutschland. „Wir alle arbeiten hart für Amazon“, sagt er. „Und was bekommen wir dafür? ­Rückenschmerzen. Knieschmerzen. Fußschmerzen.“ Lautes Lachen und Klatschen im Saal. „Genau so ist es“, ruft eine Frau aus dem Publikum. „Wir wollen nur, was wir verdienen“, betont Mohammed Jemal. Alleine könnten sie wenig erreichen, aber zusammen könnten sie Jeff Bezos in die Knie zwingen. „Together we make Amazon pay!“ Laut tönt der Sprechchor durch die Halle, zweimal, dreimal, viermal: „Make Amazon Pay!“

Giampaolo Meloni aus Italien sagt, dass Jeff Bezos jeden Tag mehr und mehr und mehr verdiene. „Und mein Gehalt bleibt so gut wie gleich.“ Als sie vor vier Jahren das erste Mal beim Black Friday mitgemacht hätten, seien sie 70 Gewerkschaftsmitglieder gewesen – inzwischen seien es 1.400. Er habe davon geträumt, dass Amazon-Beschäftigte überall auf der Welt am gleichen Tag streiken: „Jetzt ist der Traum wahr geworden. Danke!“

Neue Gewerkschaft in Indien

In einem Videogruß berichtet ein Kollege aus Indien, dass sie ganz neu eine Gewerkschaft für Amazon-Beschäftigte im Land gegründet hätten. Ein Arbeiter aus Nepal schildert in einem kurzen Clip, dass er seine Familie verlassen habe, um in Saudi-Arabien zu arbeiten – in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. „Dort wurde ich behandelt, als ob mein Leben keinen Wert hätte.“ Für ihn geht es bei dem Streik der Amazon-Beschäftigten auch um Würde. „Ihr kämpft für alle von uns!“

Die Kundgebung in Bad Hersfeld wird vom internationalen Gewerkschaftsdachverband UNI Global Union gemeinsam mit ver.di ausgerichtet – und ist zugleich die zentrale Aktion der weltweiten Kampagne #MakeAmazonPayDay. Christy Hoffman, Generalsekretärin von UNI Global, erklärt auf der Bühne: „Von Indien bis in die Vereinigten Staaten, von Großbritannien bis Kanada erheben sich die Beschäftigten gegen Ausbeutung und Einschüchterung.“

„Wir sind viele“, betont Silke Zimmer, ver.di-Bundesvorstandsmitglied für den Handel, „und wir werden immer mehr.“ Den Anfang haben die Beschäftigten in Bad Hersfeld gemacht: Vor elf Jahren streikten sie zum allerersten Mal, damals nur mit ein paar Leuten. Seitdem machen sie Druck für einen Tarifvertrag. Die Gewerkschafterin verweist darauf, dass Amazon im letzten Jahr einen Umsatz von 575 Milliarden US-Dollar erzielte, alleine in Deutschland von 37,6 Milliarden US-Dollar. Dafür müsse eine gigantische Anzahl an Büchern, Kleidungsstücken und Kühlschränken verschickt werden. „Ihr seid es, die dafür unzählige Kilometer zurücklegen und Berge an Waren in ­Kartons packen.“ Und diesen Umsatz überhaupt erst ermöglichten.

Warum sich der Einsatz lohnt

Kann es richtig sein, fragt Silke Zimmer, dass Amazon enorme Umsätze und Gewinne in Deutschland macht – aber einen Großteil der Geschäfte in Luxemburg abwickelt und hier so gut wie keine Steuern zahlt? Und sich zudem weigert, über eine Tarifvertrag überhaupt zu sprechen? Trotzdem lohne sich der Einsatz der Kolleginnen und Kollegen, betont die ver.di-Fachbereichsleiterin. So hätten die Lager­arbeiter zum Beispiel bei Amazon in Leipzig 2006 noch einen Stundenlohn von 7,76 Euro erhalten. Jetzt starten alle mit mindestens 15 Euro. „Ohne Streiks wäre das nie passiert.“ Ob Wasserspender, Klimaanlagen oder Pausenräume: „Nichts war selbstverständlich. Alles mussten wir gemeinsam erkämpfen.“

Ein Lagerarbeiter aus Bad Hersfeld mit einem Kaffee in der Hand nickt: „Sonst würde gar nichts passieren.“ Ein Kollege aus Koblenz sagt, dass alles teurer werde, Miete, Essen, alles. Und der Druck viel zu hoch sei. „Wir sollen immer schneller und schneller arbeiten, werden ständig kontrolliert. Amazon denkt, wir sind ­Maschinen. Aber wir sind Menschen.“

Lagerarbeiterin Andreja Schmidtkunz aus Bad Hersfeld ist seit dem ersten Streik dabei, zwei Schilder von damals halten die Kollegen auch diesmal hoch: „Auch, wenn Jeff Bezos das nicht mag“, steht auf einem in schwarzen Buchstaben. „Wir wollen den Tarifvertrag“, auf dem anderen. Wie lange sie noch durchhält, wird sie manchmal gefragt. Ihre Antwort: „Jetzt erst recht!“ Durch ihre Streiks sei bereits sehr viel besser geworden, plötzlich bekämen sie Weihnachtsgeld und höhere Löhne. „Das zeigt: Es bringt sehr viel!“

Noch eine Liveschalte nach Rheinberg: Bei strahlend blauem Himmel stehen die Kolleginnen und Kollegen vor dem Logistikzentrum. Wie jedes Jahr am Black Friday, sagt ver.di-Sekretär Tim Schmidt. „Ihr habt es geschafft, ihnen diesen Tag abzunehmen.“ Aus dem Rabatttag sei ein internationaler Streiktag geworden. Alle jubeln und rufen: „Make Amazon Pay!“