Ausgabe 03/2025
Gift für die Gesundheit

Die neue schwarz-rote Bundesregierung ist etwas holprig gestartet, aber jetzt ist sie im Amt. Und muss nun zeigen, dass sie nicht nur Politik für Reiche macht, sondern auch ein soziales Profil hat. Ein wichtiges Thema, das aus Arbeitnehmer*innen-Sicht beim Lesen des Koalitionsvertrages sofort ins Auge sticht, ist das Thema Arbeitszeitgesetz.
Mit der Überschrift "Mehr Flexibilität für die Beschäftigten" will die Regierung eine Aufweichung der täglichen Höchstarbeitszeit verkaufen. Derzeit ist diese auf acht, in Ausnahmefällen auf zehn Stunden pro Tag begrenzt. Das soll in Zukunft aufgehoben werden können, Hauptsache die Ruhezeit zwischen zwei Schichten bleibt wie bisher bei elf Stunden. Damit sind Arbeitstage von bis zu 13 Stunden möglich. Stattdessen soll eine wöchentliche Arbeitszeitgrenze gelten. Für den ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke ist das "ein schlechter Witz".
"Schon jetzt leiden in vielen Branchen – etwa in der Logistik, in der Pflege oder im Handel – viele Menschen unter zu hoher Belastung."
Frank Werneke, ver.di-Vorsitzender
Gebot der Stunde ist Entlastung
Er kritisiert, dass dieses Vorhaben viele Menschen massiv unter Druck setzt, länger arbeiten zu müssen. "Das ist Gift für die Gesundheit. Schon jetzt leiden in vielen Branchen – etwa in der Logistik, in der Pflege oder im Handel – viele Menschen unter zu hoher Belastung", so Werneke. Für ihn ist das Gebot der Stunde, die Beschäftigten stärker zu entlasten, statt sie mehr zu belasten. Die schwarz-rote Bundesregierung begründet ihr Vorhaben hingegen damit, das sei im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und stehe im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie.
In seiner Regierungserklärung hatte Bundeskanzler Friedrich Merz, CDU, eine Debatte um die Arbeitszeit angestoßen. Es sei nötig, "wieder mehr und vor allem effizienter" zu arbeiten, forderte er als Teil einer "gewaltigen Kraftanstrengung" der Menschen, um das Land wieder wettbewerbsfähiger zu machen. "Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können", hatte Merz zudem in einer Rede vor dem Wirtschaftsrat der CDU gesagt, einem Lobbyverein, der der CDU sehr nahesteht.
Die Deutschen sollen also mehr arbeiten. Steuerliche Anreize sollen zudem für eine Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten sorgen, auch das ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Wollen Arbeitgeber zukünftig Prämien für längere Arbeit als mit den Beschäftigten vereinbart schaffen, sollen diese steuerlich begünstigt werden. Um Missbrauch zu vermeiden, sei Freiwilligkeit dabei oberstes Prinzip, die Entscheidung solle in jedem Fall bei den Beschäftigten liegen.
"Die Beschäftigten schieben 600 Millionen Überstunden vor sich her und können sie wegen der Arbeitsbelastung nicht abbauen."
Frank Werneke, ver.di-Vorsitzender
Ob das aber in der Praxis von den Beschäftigten immer durchsetzbar ist, bleibt aus gewerkschaftlicher Sicht fraglich. Auch die Aussage des Koalitionsvertrags, Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte, beziehungsweise die an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen, steuerfrei zu stellen, wirft Fragen auf. Jüngst erst hatte das Bundesarbeitsgericht geurteilt, dass auch Teilzeitkräfte Anspruch auf Zuschläge für Mehrarbeit haben, wenn die von ihnen geleistete Arbeitszeit über die mit ihnen vereinbarten Arbeitsstunden hinausgeht.
Die konkrete Ausgestaltung der Arbeitszeitregelung will die Bundesregierung mit den Sozialpartner*innen aushandeln. Der ver.di-Vorsitzende warnte bereits davor, dass die Arbeitgeber und ihre Verbündeten bereits so radaumäßig unterwegs seien, wie schon lange nicht mehr. Sie wollten die tägliche Arbeitszeit verlängern, Feiertage streichen. Dabei werde in Deutschland nicht zu wenig gearbeitet. "Die Beschäftigten schieben 600 Millionen Überstunden vor sich her und können sie wegen der Arbeitsbelastung nicht abbauen", kontert Werneke die oft von den Arbeitgebern verwendete Behauptung. Dagegen müssten sich die Gewerkschaften wehren.