Ausgabe 06/2025
Verfassungswidrige Besoldung

Das Urteil schlägt hohe Wellen: Über viele Jahre hat Berlin seine Beamt*innen zu niedrig bezahlt und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat nun entschieden, dass die Berliner Beamtenbesoldung von 2008 bis 2020 weitgehend verfassungswidrig gewesen ist. Schon 2020 hatte das BVerfG gesagt, dass die Berliner Richter*innen-Besoldung verfassungswidrig ist. Trotzdem hat Berlin die Besoldung für die übrigen Beamt*innen nicht angepasst. Viele haben deshalb Widerspruch eingelegt.
Und nun hat das Bundesverfassungsgericht erneut entschieden: Die Beamt*innen hätten deutlich mehr verdienen müssen. Im Beschluss heißt es dazu: "Im Ergebnis stellt der Senat fest, dass rund 95 Prozent der geprüften Besoldungsgruppen in den Jahren 2008 bis 2020 mit dem Alimentationsprinzip […] unvereinbar und damit verfassungswidrig sind." Berlin muss nun bis spätestens 31. März 2027 eine verfassungskonforme Neuregelung schaffen – ein enger Zeitrahmen angesichts des strukturellen Sanierungsbedarfs.
ver.di begrüßt das Urteil
Der Beschluss zeigt zudem deutlich, wie stark Berlin seine Beamtenbesoldung über Jahre hinweg von der allgemeinen Entwicklung abgekoppelt hat. Das Bundesverfassungsgericht hält fest, dass die letzte lineare Erhöhung der Grundgehälter bereits 2004 stattfand – und danach bis 2010 praktisch keine Anpassung mehr vorgenommen wurde. Sonderzahlungen wurden gestrichen, spätere kleine Erhöhungen gegengerechnet. Die Richter sprechen deshalb von einer "evidenten Abkoppelung der Besoldung von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung" – ein zentraler Grund dafür, dass Berlin heute ein verfassungswidriges Besoldungsgefüge korrigieren muss.
„Die Landesregierungen haben sich verzockt und auf Zeit gespielt.“ Andrea Kühnemann, Landesbezirksleiterin von ver.di Berlin-Brandenburg
Die Richter stellen weiter klar, dass finanzielle Engpässe kein Grund dafür sein dürfen, Beamt*innen dauerhaft zu niedrig zu bezahlen. Mit anderen Worten: Ein Land darf seine Haushaltsprobleme nicht auf dem Rücken seiner Beschäftigten lösen.
"Wir begrüßen das Urteil, weil es Rechtssicherheit schafft und dem Land Berlin einen klaren Auftrag gibt, seine Beamtinnen und Beamten verfassungsgemäß zu bezahlen", sagt Christine Behle, stellvertretende ver.di-Vorsitzende. Dieses Urteil wird jedoch nicht nur für Berlin, sondern auch für die anderen Länder und den Bund Folgen haben.
Neue Messlatte für Beamtengehälter
Beachtenswert ist außerdem, dass das Gericht auch die Prüfung der Besoldung neu ordnet: Bisher wurde geschaut, ob sie genug Abstand zur Grundsicherung hat. Jetzt soll sie sich an dem orientieren, was Menschen in der gesellschaftlichen Mitte verdienen. Dadurch steigen die Anforderungen an eine faire Beamtenbesoldung. Das Gericht definiert erstmals klar: Beamtenbesoldung darf nicht unter 80 Prozent des Median-Äquivalenzeinkommens liegen. "Somit wird die notwendige Mindestbesoldung von der politischen Diskussion um die Höhe der Grundsicherung als Bezugspunkt entkoppelt, was wir ebenfalls begrüßen", so Behle.
Auffällig im Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist auch die besondere Betonung der demokratieschützenden Funktion des Berufsbeamtentums und die entsprechende Verknüpfung mit einer "amtsangemessenen Alimentation". Das Alimentationsprinzip habe demnach vor allem die Funktion, die Unabhängigkeit von Beamt*innen im Interesse einer rechtsstaatlichen Verwaltung zu gewährleisten, betont das BVerfG. Die Rolle des Berufsbeamtentums als "tragendem Element des Rechtsstaats" bedeute insoweit, dass keine Beamtin und kein Beamter einem Armutsrisiko ausgesetzt sein dürfe.
Die Entscheidung betrifft aber nicht nur Berlin. Viele Bundesländer und auch der Bund haben ähnliche Verfahren am Laufen, weil Beamt*innen auch dort seit Jahren zu niedrig bezahlt wurden. Das Bundesverfassungsgericht macht jetzt klare Vorgaben, damit solche Fälle nicht weiter ungelöst bleiben.
Für Berlin bedeutet das Urteil: Die Besoldung war zu niedrig. Es müssen Nachzahlungen kommen.
Für den Bund und die Länder bedeutet es: Sie müssen ihre Besoldungsgesetze überprüfen und anpassen.
Was bedeutet der Beschluss für Nachzahlungen?
Obwohl das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass die Berliner Beamtenbesoldung jahrelang verfassungswidrig war, heißt das nicht, dass automatisch alle Berliner Beamt*innen rückwirkend Geld bekommen. Das Bundesverfassungsgericht korrigiert zwar das Gesetz, aber es sorgt nicht selbst dafür, dass alle rückwirkend Geld erhalten. Dafür wären klare gesetzliche Regelungen des Landes notwendig – und die gibt es (noch) nicht.
"Andere Dinge waren immer wichtiger, als sich als verlässlicher Dienstherr beziehungsweise Arbeitsgeber zu erweisen. Die Landesregierungen haben sich verzockt und auf Zeit gespielt", so Andrea Kühnemann, Landesbezirksleiterin von ver.di Berlin-Brandenburg. "Den verbeamteten Kolleginnen und Kollegen wurden über Jahre Teile der ihnen zustehenden Besoldung vorenthalten. Wir fordern jetzt die zügige Verabschiedung eines Nachzahlungsgesetzes!"
Ein weiteres Beispiel für mangelnde Verantwortung gegenüber ihren Beamt*innen liefert Bayern: Ministerpräsident Söder hatte nach der Kabinettsklausur erklärt, die Ergebnisse der bevorstehenden Tarifverhandlungen für die Tarifbeschäftigten der Länder in den Jahren 2026 und 2027 nur mit einer Verzögerung von jeweils sechs Monaten auf die Beamt*innen zu übertragen.
Hier gehts zum Beschluss des BVerfG: kurzlinks.de/fdr3
Editorial Finanzen
Eine Frage der Gerechtigkeit
Ob Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer oder Ehegattensplitting, die Steuerlast zwischen arm und reich ist ungerecht verteilt. Diejenigen mit den größten Vermögen tragen noch immer am wenigsten zu den Steuereinnahmen bei, die der Staat aber dringend braucht. Ohne Steuern würde hier nichts funktionieren. Doch Reiche können sich dem oft entziehen. Wer jetzt nach einer politischen Alternative sucht, sollte genau hinsehen: Die AfD ist nichts für Menschen mit niedrigen Einkommen, die hätten mit ihr noch weniger Geld in der Tasche, während Menschen mit Spitzeneinkommen und reiche Familien profitieren würden. Marion Lühring