Bei Einsparungen geht es in den Beate-Uhse-Läden zu wie anderswo auch. Da ist ein aktiver Betriebsrat gefragt – in Flensburg ist er erfolgreich

Die Betriebsräte Michael Petersen und Anja Lorenzen in der bereits geschlossenen Tischlerei der Firma Beate Uhse

17 Euro 95 kostet das Herz. Die 36 Papierröllchen darin versprechen "60 aufregende Momente". Kamasutra in der Pappschachtel. Ein alter Herr mit vollem weißem Haar lässt sich den aktuellen Katalog vorlegen. Frau Nielsen zeigt das Heft gern. Man merkt gleich: Verkaufen liegt ihr. 50 Euro gibt jeder Kunde im Durchschnitt bei einem Einkauf aus, schätzt sie. Viel Stammkundschaft, aber die Klientel verändere sich, stellt sie fest.

Es kommen mehr junge Leute, denen nichts mehr peinlich ist. Pärchen, die mal was Neues ausprobieren wollen. Junge Männer, die Spitzendessous aussuchen - für den Bräutigam zum Junggesellenabschied. Dann ist das Gelächter schon beim Shoppen gewaltig. Sie führt eine Neugierige, die nur mal reinschauen will, zum Regal mit den neuen Vibratoren und weist auf die Qualität der bunten Produkte hin. "Die ist schließlich wichtig, oder?"

Seit 30 Jahren arbeitet sie in Deutschlands bekanntestem Porno- und Erotikhandel. Wer sie sieht, würde sie nie mit finsteren Schmuddelecken in Verbindung bringen. In dem hellen Laden in der Flensburger Konzernzentrale - wegen seiner sechseckigen Form Sex-Eck genannt - empfiehlt sie einem Kunden in elegantem Dreiteiler, zur ausgewählten Porno-DVD auch noch die andere zu nehmen.Nur fünf Euro mehr, dafür kriegt er schon auf der Verpackung deutliche Detailaufnahmen. Frau Nielsen macht das mit norddeutschem Charme.

Sie kam auf die Idee, bei Beate Uhse zu arbeiten, weil ihre Mutter für das Unternehmen Negligés nähte. Ihre Bekannten wissen natürlich, wo sie arbeitet. Das sei längst kein Problem mehr, und in Flensburg gebe es diese Vorurteile nicht so sehr. Hier fing schließlich alles an, hier kannte man die Chefin persönlich und auch die Beschäftigten, die sich selbst lange Zeit als "Beate-Uhse-Familie" sahen. Aber dass das Unternehmen seit 1976 einen Betriebsrat hat, wissen selbst in Flensburg nur wenige.

Familienstreit

Dabei wird er dringend gebraucht, denn nach dem Boom in den Läden, den der Mauerfall hervorgerufen hatte, ließ der Ansturm längst nach. Zudem fängt das Internet Kunden weg, und reizende Dessous findet man inzwischen selbst im Kaufhaus. Nun noch die Krise. Gespart wird inzwischen auch im Intimbereich. Die Einnahmen der Firma sinken, es drohen Sparpläne, Kündigungen. Zeit für einen aktiven Betriebsrat. Anja Lorenzen ist dessen stellvertretende Vorsitzende, mit einer halben Freistellung. Immer freitags arbeitet sie in der Poststelle, mitten in dem durchsichtigen 60er-Jahre-Bau. "Den Tag brauche ich", sagt sie, "die Arbeit mit vielen Menschen." 1990 fing die gelernte Köchin bei Beate Uhse im Büro an. Bald machte sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau, "ermutigt durch Frau Rotermund, wie Uhse eigentlich hieß. Sie meinte, ich solle mehr aus mir machen. So war sie. Und die Ausbildung hat sich für mich wirklich gelohnt."

Michael Petersen ist Betriebsratsvorsitzender - und ebenfalls kein Verkäufer. Er hat im Unternehmen Bürokaufmann gelernt, als erster männlicher Azubi der Firma: "Als ich zum ersten Mal ins Lager kam, bin ich mit dunkelrotem Kopf rumgelaufen, voll peinlich! Kurz danach saß ich im Großraum dabei, als eine Kollegin erzählte, wie sie den neuen Vibrator ausprobiert hat, in allen Einzelheiten. Plötzlich stutzte sie: Ach Gott, der Jung'! Den hab ich ganz vergessen!" Michael Petersen lacht. "Bei uns gibt ein Wort das andere. Ich glaube, wenn man viele Jahre hier gearbeitet hat und dann wechseln will, muss man resozialisiert werden!" Petersen arbeitete nach der Lehre im Rechnungswesen, dann in der EDV-Abteilung. Als der riesige Erfolg der Shops in der Zeit nach dem Mauerfall nachließ, sollte er entlassen werden. Doch der Betriebsrat legte sich für ihn ins Zeug, Petersen konnte bleiben. Aus "reiner Dankbarkeit" kandidierte er bei der nächsten Wahl selbst, gibt er zu. Seit November 2000 ist er Vorsitzender.

Arbeitskampf hardcore

Große Probleme mit der Geschäftsführung haben sie seit der letzten Betriebsratswahl vor drei Jahren, berichtet Michael Petersen. "Es fing schon mit der Aufstellung der Kandidaten an. Zwei Listen schienen vom Arbeitgeber initiiert, der gern eine ihm genehme Vertretung wollte. Also machten wir zum ersten Mal eine Listenwahl. Die haben wir knapp gewonnen. Als nächstes verweigerten die Chefs die zwei Freistellungen." Es folgte ein hartes Dreivierteljahr, in dem die Geschäftsführung sogar vor dem Arbeitsgericht Flensburg auf Ausschluss von Petersen aus dem Betriebsrat klagten. Die Klage wurde abgewiesen, die Revision endlich zurückgezogen, doch zum Jahreswechsel 2007/2008 kam die Unternehmensberatung Berger ins Haus. Ergebnis: Elf Filialen und das Callcenter für den Versand sollten geschlossen werden. Etwa 90 Menschen waren betroffen. Der Betriebsrat handelte einen Sozialplan für sie aus. Wenig später hieß es: "Das reicht nicht. Die Umsätze brechen weiter ein, wir müssen an die Arbeitszeiten ran." Und nicht nur das. Es ging um weniger Urlaub, kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld, keine Zuschläge mehr. Für die Verkäufer/innen hätte das bis zu einem Viertel ihres Lohns ausgemacht - von 1 700 Euro brutto, die im Schnitt bei Vollzeitarbeit gezahlt werden.

Kreuzen Sie sich weg!

Dafür sollten die Beschäftigten ihr eigenes Urteil ankreuzen: "Unter dem Formular stand ‚Ich verzichte auf Ansprüche aus dem Tarifvertrag'", sagt Petersen. "Wir haben telefoniert, diskutiert, einen Brandbrief geschrieben: ,Finger weg vom Kugelschreiber‘. Ein paar neue ver.di-Mitglieder haben wir damit auch gewonnen. Unter dem Eindruck unserer Maßnahmen überarbeitete man den Fragebogen komplett. Trotzdem haben nur 15 Prozent der Befragten per Unterschrift auf ihre Rechte verzichtet, meist befristet Beschäftigte." Das Papier war vom Tisch. Doch das Thema Arbeitszeit war in diesem Jahr plötzlich wieder im Gespräch. Und die Streichung von 27 Vollzeitstellen, die 33 Menschen betreffen würde. "Ihrer Entlassung zustimmen? Ich muss doch morgens in den Spiegel gucken können", sagt Anja Lorenzen. Der Betriebsrat forderte im Mai Kurzarbeit, vier Filialen haben die schon, drei weitere beginnen im September damit. Entlassen wurde niemand, doch von der "Beate-Uhse-Familie" ist nicht mehr die Rede. "Als es zum ersten Mal hieß, wir sollten auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichten, standen plötzlich drei neue Firmenwagen auf dem Hof", berichtet Petersen. "Für die Karossen sollten wir verzichten?" Die Aktion hat dem Betriebsrat Vertrauen gebracht. Auf der Basis wird weitergearbeitet, für einen neuen Tarifvertrag, gegen Personalabbau – und ohne roten Kopf.

Das Geschäft mit der Erotik

Bei Beate Uhse arbeiten 560 Beschäftigte, davon 320 in 53 Läden.

Der Betriebsrat in der Flensburger Zentrale ist für 370 Beschäftigte zuständig, die in der Aktiengesellschaft, der Einzelhandels-GmbH und der Versandhaus-GmbH arbeiten.

Ende 2000 wurde in der Firma von den gewerkschaftlich organisierten Lagerarbeitern ein Anerkennungstarifvertrag erstreikt. Der Vertrag ist am Einzelhandelstarifvertrag orientiert, wurde aber im Mai 2008 vom Arbeitgeber gekündigt.