Dr. Christoph Hennig organisiert und leitet seit 1982 Kunst- und Wanderreisen in Italien und Frankreich. Er hat zahlreiche Reiseführer über Italien verfasst, zuletzt: Wilde Wege, stille Dörfer. Wanderungen in den Abruzzen. Rotpunkt Verlag Zürich, 28 Euro. www.italienwandern.de

ver.di PUBLIK | Noch immer ist Italien eines der beliebtesten Reiseziele der Deutschen. Ist das Bild von Bella Italia durch Silvio Berlusconis Machenschaften ins Wanken geraten?

CHRISTOPH HENNIG | Ich werde natürlich immer bei meinen Gruppenreisen gefragt, was da eigentlich los ist. Es herrscht Unverständnis über die politische Situation. Die abartigen politischen Ereignisse lassen sich nicht mit dem doch sehr positiven Italienbild der Deutschen vereinbaren.

ver.di PUBLIK | Wie ist denn das Italien-Bild der Deutschen?

HENNIG | Es ist in den letzen 20 Jahren vor allem das Bild eines Landes mit nachahmenswerter Lebensart geworden.

ver.di PUBLIK | War es früher anders?

HENNIG | Ja. Früher war Italien viel stärker die Kulturnation mit ihren Sehenswürdigkeiten. Die Kultur ist heute dagegen nur noch ein Anziehungspunkt unter vielen. Man sieht das schon daran, dass die reinen Kunstreiseführer, wie es sie früher gab, vom Markt fast verschwunden sind. Der typische Bildungsreisende stirbt aus. Heute interessieren sich die Leute für viele Facetten: Kultur, Landschaft, Lebensart, Kulinarik, Wein.

ver.di PUBLIK | Sie bieten vor allem Wanderreisen in Italien an. Dabei steht Italien neben dem Kulturtourismus doch vor allem für Strandurlaub. Eine Marktlücke?

HENNIG | Für mich ist Italien ein ideales Wanderland, wenn man weiß, wo man hingeht. Es gibt zwar oft keine Wegeauszeichnungen, keine Karten, aber die Landschaften sind sehr viel ursprünglicher als in Deutschland, weil nicht alles durchgeplant ist. Trotzdem ist es eine alte Kulturlandschaft, was sich darin zeigt, dass man am Ende eines durchwanderten Tages in eine Ortschaft kommt, wo es hervorragendes Essen gibt.

ver.di PUBLIK | An welche Landschaften denken Sie dabei?

HENNIG | An die Toskana und das nördliche Latium um den Bolsena-See, Umbrien und auf jeden Fall die Abruzzen mit ihrer schönen Gebirgslandschaft. Dann die Amalfiküste oder Cinque Terre. Das sind die Gebiete, in denen ich mich vorwiegend bewege.

ver.di PUBLIK | Ihre Lieblingsregion?

HENNIG | Inzwischen die Abruzzen, aber das ändert sich immer wieder.

ver.di PUBLIK | Wie lange beschäftigen Sie sich schon mit Italien?

HENNIG | Seit Anfang der 70er Jahre. Ich habe 25 Jahre in Italien gewohnt.

ver.di PUBLIK | Konkurriert Ihre Form des Wandertourismus mit Urlaub an den Stränden von Lido di Jesolo oder Rimini?

HENNIG | Nein, das sind ganz unterschiedliche Zielgruppen. Auch an der Küste sind viele deutsche Urlauber, aber heute sind es aus Preisgründen weniger als früher. Italien war ein billiges Reiseland, das ist es heute nicht mehr. Konkurrenten wie die Türkei oder Tunesien sind viel billiger.

ver.di PUBLIK | Ist der Tourismus in die Landschaft ein neuer Trend?

HENNIG | Ja, und der Trend wächst. Eine Wanderhochburg ist Cinque Terre an der ligurischen Küste. Dorthin kommen Besucher aus aller Welt. Und in der Toskana gibt es seit ungefähr 25 Jahren Wandertourismus. Auch immer mehr Italiener wandern. Die Leute auf dem Land haben sich inzwischen daran gewöhnt. Wenn man früher nach dem nächsten Ort fragte, wurde man immer auf den Bus verwiesen. Zu Fuß gehen war undenkbar!

ver.di PUBLIK | Was fasziniert Sie an Italien?

HENNIG | Das Land hat viel Dynamik. Es ist lebendiger, im Guten wie im Schlechten. Und natürlich die Schönheit der Landschaft und die großartigen historischen Ensembles. Diese sind viel zahlreicher und besser erhalten als anderswo. Auf der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO hat Italien mehr Kunstschätze als der Rest der Welt zusammen.

INTERVIEW: EDITH KRESTA

www.italienwandern.de

Italien ist eine alte Kulturlandschaft, was sich darin zeigt, dass man am Ende eines durchwanderten Tages in eine Ortschaft kommt, wo es hervorragendes Essen gibt