Der neu gewählte Betriebsrat im Rostocker Callcenter von Hansenet muss als erstes gegen Kündigungen vorgehen

Rostock | Die Anspannung ist Marlis Krull und ihren acht frisch gewählten Amtskollegen deutlich anzusehen. Zur konstituierenden Sitzung ihres Betriebsrates in der Rostocker Niederlassung des Callcenters Hansenet haben sie sich im örtlichen DGB-Haus getroffen. Der vorläufige Höhepunkt einer harten Auseinandersetzung.

Der Streit um die Bildung einer demokratischen Interessenvertretung beschäftigt das Rostocker Arbeitsgericht und nun auch die Staatsanwaltschaft. "Wir haben Anzeige wegen Behinderung der Wahl nach Paragraph 119 des Betriebsverfassungsgesetzes erstattet", berichtet Peter Pohlmann vom Callcenter-Büro Rostock.

Peter Pohlmann vom Callcenter-Projekt verteilt Flugblätter vor Hansenet

Plötzlich standen sie auf der Straße

Der seit Jahren mit dem Thema vertraute Branchenkenner sieht ausreichend Anhaltspunkte für den schwerwiegenden Vorwurf: Kurz vor dem Wahltag wurden Mitarbeiter, die sich seit Mitte Januar für einen Betriebsrat stark gemacht hatten, plötzlich fristlos gekündigt. Langfristig eingesetzte Leiharbeiter standen plötzlich auf der Straße oder wurden an andere Standorte versetzt. Unter den Gefeuerten befand sich der Vorsitzende des Wahlvorstands Andreas Glück, dem noch dazu Hausverbot erteilt wurde.

Der Arbeitgeber wirft den Beschäftigten Manipulationen bei Prämien vor. Pohlmann ist sicher: "Das trifft nicht zu: Hier wurden seit langem bekannte Unklarheiten im Abrechnungssystem offenbar als willkommener Anlass benutzt, um Mitarbeiter zu kriminalisieren."

Uniformierter Wachschutz im Einsatz

Mit Flugblättern informierte ver.di die Belegschaft. Vor dem Arbeitsgericht setzte die Gewerkschaft per einstweiliger Verfügung durch, dass der Wahlvorstand die Abstimmung durchführen konnte. "Doch entgegen der Auflagen wurden die Kollegen dabei massiv behindert, unter anderem durch den Einsatz uniformierter Wachschutz-Mitarbeiter."

Mehr noch: In einem Rundschreiben an die Beschäftigten und auf eilig anberaumten Zusammenkünften der Belegschaft erweckte die Geschäftsleitung den Eindruck, die erhobenen Betrugsvorwürfe seien bewiesen. "Durch die Vorverurteilung wurden natürlich die Wahl-Chancen verschlechtert."

Mit den anstehenden Gerichtsverfahren muss der Betriebsrat eine Bewährungsprobe meistern. ver.dis Callcenter-Büro steht ihm dabei zur Seite: In Schulungen werden die Neulinge mit den Gesetzen vertraut gemacht und erfahrene Amtskollegen begleiten sie auf den ersten Schritten.

Den Aktiven macht der Konflikt deutlich, wie nötig die Wahl war. "Mit einem Betriebsrat wäre es nicht soweit gekommen", sind sie sicher. Schließlich hat die Interessenvertretung ein Anhörungsrecht, bevor Kündigungen ausgesprochen werden, und kann vor allem über die Festsetzung von Prämien mitbestimmen. Ein Thema, das Marlis Krull und ihre Mitstreiter unbedingt anpacken wollen, um Transparenz in das System und seine Anwendung zu bringen.

Gemeinsames Projekt

Das Callcenter-Büro Rostock entwickelt sich zu einer Anlaufstelle für die in Mecklenburg-Vorpommern boomende Branche der Telefondienstleistungen. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt der Fachbereiche 13 (Besondere Dienstleistungen), 9 (Telekommunikation) und 8 (Medien) unter dem Dach von ver.di.

Neben der Beratung von Kolleg/innen wollen die Aktiven vor allem die öffentliche Debatte über die Arbeitsbedingungen in Callcentern voranbringen. Diese werden von der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns erheblich gefördert.

http://callcenter.verdi-mv.de