Ab ins kalte Wasser - wie schon Kinder lernen, etwas für ihr Wohlbefinden zu tun

Jeden Mittag verwandelt sich die Kindertagesstätte Zwergenland in Berlin-Karlshorst in eine Art Kurklinik. Rund 80 Kinder stehen dann in Unterwäsche vor mit kaltem Wasser gefüllten Stapelboxen an, um mit ihren nackten Füßchen 20 Sekunden darin auf der Stelle zu treten. Anschließend streifen sie nur kurz das Wasser mit einem Fußtuch ab und laufen sich dann auf dem Teppichboden in ihren Kinderzimmern neben den Bädern trocken. Die Krippenkinder, die nur krabbeln können, werden mit kalten Waschlappen bearbeitet. Kinder ab 4 Jahren greifen auch noch zur Massagebürste. "Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei", zählen sie laut vor sich hin und bürsten dabei erst das rechte Bein rauf, dann das linke, es folgt der rechte und der linke Arm und die Brust. Den Rücken bürsten sie sich gegenseitig, "eins, zwei, drei". Und schon verschwinden sie oben auf den Balkon oder unten auf der Terrasse in ihren Betten unter den inzwischen ausgefahrenen rot-weißen Markisen.

20 Sekunden gesunder Wasserspaß

Diese Kinder fühlen sich offensichtlich wohl. Sie kneippen jeden Tag, und kein Kind schreit mehr, hat es erstmal den Spaß mit dem Wassertreten lieb gewonnen. Alle zwei Wochen steigen sie runter in den Keller in die eigene Sauna. Und auch bei Minusgraden schlafen sie draußen. "Wir härten die Kinder ab", sagt Iris Aethner, die die Kindertagesstätte leitet. Es würde auch komisch klingen, würde sie von Wellness-Programmen für Kinder sprechen. Aber letztendlich lernen die Mädchen und Jungen hier von kleinauf nichts anderes, als etwas für ihr Wohlbefinden, ihre Gesundheit zu tun. Und nichts anderes meint das englische Wellness.

Einfache Mittel ein Leben lang

Dass man für die eigene Gesundheit nicht in ein Spa, ein Heilbad, fahren oder zur Ayurveda-Kur nach Indien fliegen muss, sondern ein Leben lang mit einfachen Mitteln für sie sorgen kann, das haben Iris Aethner und ihre Kollegin Michaela Howe schon Mitte der 80er Jahre gelernt. Damals wurde ihr Integrationskindergar- ten noch nicht von der EJF-Lazarus gAG, einem evangelischen und diakonischen Fürsorgewerk, getragen, sondern war wie alle anderen Kindergärten in der DDR ein staatlicher. Und damals erhielten sie eine Zusatzausbildung zur besonderen Betreuung infektanfälliger Kinder. Zu ihnen kamen Kinder, die ständig mit Bronchitis zu kämpfen hatten, schnell Lungenentzündungen bekamen, deren obere Luftwege jedem Virus ein Zuhause boten.

"Wir haben mit den Kinder inhaliert, sie mit Rotlicht bestrahlt oder Nasensekret abgesaugt. Gleichzeitig haben wir abhärtende Maßnahmen betrieben, sind mit den Kindern in die Sauna ins Ärztehaus gegangen", erinnert sich Iris Aethner. Nach der Wende durften sie die Kinder dann nicht mehr medizinisch behandeln. Und den Staat als Träger gab es auch nicht mehr. Auf der Suche nach einem neuen kamen die beiden Erzieherinnen auch in Kontakt mit dem Kneipp-Bund. Und dort war man gleich ganz Ohr, als sie von den Erfahrungen und der Arbeit mit anfälligen Kindern berichteten. "Beantragt den Titel Kneipp-Kita", wurde Iris Aethner und Michaela Howe nahe gelegt.

Das taten sie, bildeten sich in der Lehre des Wasserdoktors Sebastian Kneipp (1821-1897) fort, wurden 2002 zertifiziert. Seither eilt ihnen ihr guter Ruf voraus. Um ihren Nachwuchs besorgte Bonner Regierungsangestellte, die in die Hauptstadt ziehen müssen, fragen nach freien Plätzen. Im Schnitt haben Kneipp-Kindergärten 30 Prozent weniger Krankheitsfälle.

"Man muss das Rad nicht neu erfinden", sagt Michaela Howe auch im Hinblick auf die Frühförderung von Kleinkindern. Sie ist davon überzeugt, dass die Kinder bei ihnen durchs Kneippen viel lernen. Nicht nur etwas für sich zu tun, sondern zum Beispiel ganz schnell das Zählen. Mit Kneipp zogen zudem die Kräuterspirale und der Gemüsegarten ein, in dem die Kinder säen, pflanzen und ernten. Dabei lernt man auch allerhand Worte. In Sprachtagebüchern dokumentieren sie die Kurzen selbst. Auch das wusste der Wasserdoktor schon: Nicht nur der Körper braucht Wasser, Bewegung und Nahrung, um gesund zu bleiben, auch Geist und Seele wollen versorgt sein. Von Anfang an.

Liste der Kneipp-Kitas bundesweit:

www.kneippbund.de/kneipp_bund/kinder/kinder.php?navid=30