Diskussion über politische Streiks in der Bundesrepublik

Rappelvoll war es Ende April im Frankfurter Gewerkschaftshaus. 70 Interessierte trafen sich, um über ein heikles Thema zu sprechen, den politischen Streik. In Frankreich tut man, was man für notwendig hält. Die europäische Sozialcharta kennt keine Einschränkung des Streikrechts. Aber hierzulande sind die Bedenken groß und vielfältig. Man tut sich schwer, den Gewerkschaften überhaupt ein politisches Mandat zuzugestehen. Und auch innerhalb der Organisationen hält man es häufig für angebracht, sich auf das "Kerngeschäft", das heißt das Aushandeln von Tarifverträgen, zu konzentrieren.

Druckmittel wird gebraucht

Detlef Hensche, der ehemalige Vorsitzende der ver.di-Mitbegründerin IG Medien, setzte sich auf Einladung des Fachbereichs Bildung mit dem Thema auseinander. Er stellte klar: "Wer beispielsweise über Investitionen und Arbeitsplätze, über Standortentscheidungen verfügen kann, hat ein fast unendliches Druckpotenzial in der Hand, um Gemeinden, Länder, selbst die Bundesregierung in die Knie zu zwingen." Ein Blick ins Tagesgeschehen zeigt, wie recht er hat. Daher schenkt Hensche dem Lamento der Arbeitgeber wenig Beachtung, durch politische Streiks würden sie quasi in Generalhaftung für die Entwicklung des Landes genommen. Andersherum: Gerade wegen ihres gesellschaftlichen Einflusses sind sie nach seiner Auffassung die richtigen Adressaten. Ganz so tabuisiert ist das Thema nun doch nicht. Sicher, lang ist es her, dass Ende der 50er Jahre die IG Metall wochenlang für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall streikte. Es gab später Mahnminuten für den Frieden, es gab Gedenkminuten - von Arbeitgeberseite wurde dazu aufgerufen - anlässlich der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer, es gab kürzlich die Streiks gegen die Rente mit 67. Hensche verwies auf Ansätze in der Rechtssprechung, die Zweifel an der Einschränkung des Streikrechts zeigen. Sein zentrales Argument lautet: Wer nur seine Arbeitskraft hat, aber über Meinungsäußerungen hinaus gesellschaftlich etwas gestalten will, braucht das Druckmittel der kollektiven Arbeitsverweigerung - auch in politischen Zusammenhängen.REB