Ausgabe 08/2007
Wenn die Kassen nicht klingeln
Von Bernd Riexinger |Neue Arbeitskampfformen im Einzelhandel - erstmals Tagesstreiks bei OBI
Die Herrscherinnen der Stuttgarter Königstraße
Nachdem die Beschäftigten des Handelhofes Sindelfingen am 15. Juni den Streikauftakt im ver.di-Bezirk Stutt- gart übernommen hatten, legten die Beschäftigten von neun Einzelhandelsbetrieben in der Stuttgarter Innenstadt und in Bad Cannstatt am 5. Juli die Arbeit nieder. Über 300 Streikende bei Karstadt, bei den Kaufhof-Fillialen Königstraße, Eberhardstraße und Bad Cannstatt, bei drei H&M-Läden auf der Königstraße und bei der Buchhandlung Wittwer. Sie machten ihren Unmut über das Verhalten der Arbeitgeber in der laufenden Tarifrunde lautstark deutlich.
Das Karstadt-Sportgeschäft blieb den ganzen Tag zu, und auch bei der Buchhandlung Wittwer mussten die Türen am langen Donnerstag bereits um 19 Uhr geschlossen werden. Bei der Kundgebung auf dem Stuttgarter Schlossplatz kündigten die Betriebsratsvorsitzenden aus den einzelnen Häusern eine Fortsetzung der Streiks für September an.
Das Personal vor den Türen
Erstmals dabei waren die überwiegend jungen Kolleginnen und Kollegen der drei H&M-Häuser. Nachdem H&M allein in einem Haus 86 Aushilfen aus der ganzen Bundesrepublik angekarrt hatte, entschieden sie sich spontan, den Streik am 6. und 7. Juli fortzusetzen. Dem schlossen sich die Kolleg/innen vom Kaufhof in der Eberhardstraße an. Somit wurde am verkaufsträchtigen Freitag und Samstag gestreikt. Die Kolleginnen und Kollegen der vier Häuser haben damit für die Zukunft Maßstäbe gesetzt, denn erstmals wurde länger als einen Tag am Stück die Arbeit niedergelegt. Die Beschäftigten von H&M sorgten darüber hinaus auf der gesamten Königstraße für hohe Aufmerksamkeit. Sie versammelten sich vor den Eingängen und forderten die Kundinnen und Kunden auf, ihren Streik zu unterstützen.
Über zwei Drittel der Kunden erklärten ihre Sympathie und kauften während dieser Zeit nicht bei H&M ein. Mit Liedern und Sprechchören machten sich die Beschäftigten lautstark bemerkbar und ernteten viel Zustimmung bei den Passanten. Die Beschäftigten der anderen Betriebe erklärten daraufhin, dass sie künftig stärker sichtbar vor den Betrieben streiken wollen. Doch damit nicht genug. Bei H&M wurde am Verhandlungstag, dem 20. Juli, ein weiterer Streiktag angehängt, diesmal für die Geschäftsleitung überraschend und aus dem laufenden Betrieb heraus. Alle gingen hinein. Pünktlich wurden bei Ladenöffnung die Türen aufgeschlossen, aber die Kunden gingen nicht hinein, sondern die Beschäftigten kamen hinaus und versammelten sich zum Streik. Damit hatten die Filialleitungen nicht gerechnet: Die neue Streiktaktik hatte großen Erfolg.
Kampf um Tarife bei OBI
OBI ist eine Baumarktkette, bei der - was viele nicht wissen - Tengelmann Mehrheitseigner ist. OBI ist nicht im Arbeitgeberverband und damit nicht tarifgebunden. Es gibt Beschäftigte bei OBI, die schon seit acht bis zehn Jahren keine Lohn- und Gehaltserhöhung mehr erhalten haben. Damit soll nun Schluss sein. Die Beschäftigten der OBI-Märkte in Stuttgart-Wangen und Waiblingen legten erstmals in der Firmengeschichte am 27. Juli für einen ganzen Tag die Arbeit nieder. In beiden Märkten beteiligten sich über 90 Prozent der an diesem Tag eingesetzen Beschäftigten. Ihre Forderung: OBI muss den Tarifvertrag für den baden-württembergischen Einzelhandel anerkennen. Gleichzeitig unterstützten sie mit ihrem Streik den Tarifkampf ihrer Kolleg/innen im Einzelhandel.
Die Große Tarifkommission Baden-Württemberg hat für September Urabstimmungen über unbefristete Streiks angesetzt. Im ver.di-Bezirk Stuttgart finden sie zwischen dem 10. und 24. September statt.