Viele Firmen beschäftigen Arbeitslose monatelang zum Nulltarif - mit Unterstützung der Behörden. ver.di prangert die Vernichtung regulärer Arbeitsplätze an. Minister Müntefering verspricht Abhilfe

Menoutschr Salehi klagte und bekam Recht

Unternehmen nutzen Arbeitskräfte monatelang zum Nulltarif. Der Staat akzeptiert das nicht nur, sondern schickt die Beschäftigten sogar von sich aus in die Firmen. Im Gegensatz zu 1-Euro-Jobbern bekommen sie in der Regel nicht einmal eine Aufwandsentschädigung. Wer sich weigert, muss mit einer 30-prozentigen Kürzung seiner Arbeitslosengeld (Alg)-II-Bezüge rechnen.

Besonders extrem ist ein Fall aus Düren. Dort setzte ein Busunternehmen sieben Praktikanten als Fahrer im regulären Betrieb ein - an einzelnen Tagen waren sie von vier Uhr morgens bis 21 Uhr abends unterwegs. Als einer von ihnen nach dreieinhalb Monaten einen freien Tag für Behördengänge erbat, war die zuvor in Aussicht gestellte Festanstellung dahin.

Die Arbeitsvermittlung warf ihm einen böswilligen Abbruch der Eingliederungsmaßnahme vor und kürzte sein Arbeitslosengeld um 30 Prozent. Der Busfahrer klagte - und bekam Recht. Eindeutig stellte das Aachener Sozialgericht fest: Auch die Einarbeitung in einen Betrieb ist zu entlohnen. "Unentgeltliche Arbeit ist nicht zumutbar."

Darüber hinaus sei das Unternehmen durch die Hilfe der staatlichen Arbeitsvermittler um 28 Monatsgehälter entlastet worden und habe so einen enormen Wettbewerbsvorteil erzielt. "Drei Praktika der hier streitigen Art vernichten einen regulären Arbeitsplatz für ein Jahr", so das Gericht.

Das Busunternehmen in Düren ist kein Einzelfall: Der Bertelsmann Club in Nordhorn ließ ebenfalls viele neue Mitarbeiter acht bis zwölf Wochen über Arbeitslosengeld II finanzieren. Anschließend bekamen die besten Jahresverträge mit sechsmonatiger Probezeit. Selbst einen einfachen Putzjob gibt es heute manchmal nicht mehr ohne "Praktikum". So finanzierte der Staat der Reinigungsfirma RKZ, einem Tochterunternehmen der privatwirtschaftlichen Rhön-Klinikum AG, vier Hilfskräfte zum Einsatz in der Uniklinik Marburg. Und auch die Zulieferfirma Faurecia, ein Zulieferer von BMW in Leipzig, hat viele Arbeiter zum Nulltarif beschäftigt.

Die Internetapotheke Sanicare mit Sitz in Bad Laer testete nach und nach 125 Langzeitarbeitslose; in der Regel schufteten sie drei Monate lang umsonst. 81 von ihnen bekamen anschließend einen Jahresvertrag. Das Unternehmen hält sich aus diesem Grund sogar für sozial sehr engagiert. "Das waren zum Großteil Schwerstvermittelbare, die sonst keine Chance gehabt hätten", sagt Firmensprecherin Simone Bundiek. Viele Kandidaten hätten vorher noch nie am PC gearbeitet und keine Telefonerfahrung mitgebracht.

Auch Siegried Averhage von der im Landkreis Osnabrück zuständigen Arbeitsvermittlung Maßarbeit kann die Aufregung nicht verstehen. "Sanicare hat Langzeitarbeitslosen eine betriebliche Qualifizierung ermöglicht. Das halte ich für gut und legitim." Die Aufgabe der Null-Euro-Jobber bestand darin, Medikamente versandfertig zu machen oder am Telefon der Hotline Preisanfragen von Kunden zu beantworten. Nicht nur ver.di hält ein solches Vorgehen für unakzeptabel. Auch der Apothekerverband ist empört: "Auf der einen Seite wird dem Verbraucher vorgegaukelt, er könne durch den Versand sparen; und an anderer Stelle wird er als Steuerzahler ausgenommen."

Kein Ermessensspielraum

Die Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit bestätigt, dass eine einzelne Trainingsmaßnahme acht Wochen nicht überschreiten darf. "Da gibt es keinen Ermessensspielraum", so Ilona Mirtschin. Dennoch rechtfertigt ihre Kollegin vom Bundesarbeitsministerium, Barbara Braun, dass bei Sanicare drei Monate bewilligt wurden: Da sei schließlich ein "Qualifizierungsplan" integriert gewesen. Auch einen Fall aus Görlitz, wo eine ausgebildete Gärtnerin vier Monate lang als Gärtnerpraktikantin eingesetzt war, bezeichnete sie als "Sonderfall".

Per Brief beschwerte sich der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske beim Vorstand der Bundesagentur und bei Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD). "Beide haben zugesagt, für Abhilfe und damit für die Einstellung der Praxis zu sorgen, mit der systematisch reguläre Arbeitsplätze durch unbezahlte Zwangsarbeitsverhältnisse ersetzt wurden", berichtete Bsirske auf dem ver.di-Bundeskongress.

Wie viele Menschen betroffen sind oder waren, ist unklar. Im Frühjahr nahmen 22300 Alg-II-Empfänger an betrieblichen Trainingsmaßnahmen teil, die die Arbeitsagenturen organisiert haben. Tatsächlich aber gibt es weitaus mehr Null-Euro-Jobber, weil 69 Städte und Kreise die Arbeitsvermittlung selbst organisieren und darüber keine Statistiken existieren. Die meisten bekannt gewordenen Fälle stammen aus diesen "Optionskommunen".

Eindeutig stellte das Aachener Sozialgericht fest: Auch die Einarbeitung in einen Betrieb ist zu entlohnen. "Unentgeltliche Arbeit ist nicht zumutbar."