Wir schieben die Mindestlohnkampagne wieder an

Konsequenzen aus den Leipziger ver.di-Beschlüssen für die Arbeit vor Ort

Harald Pürzel, Bezirksvorsitzender der ver.di-Region München, war Delegierter beim ver.di-Bundeskongress

ver.di PUBLIK | Welche politischen Weichen hat der Bundeskongress deiner Ansicht nach für die nächsten Monate gestellt?

PÜRZEL | Gewerkschaftspolitisch richtig und wichtig ist aus meiner Sicht die Entscheidung, die Mindestlohnkampagne im kommenden Jahr fortzusetzen. Es ist uns mit dieser Kampagne gelungen, eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung davon zu überzeugen, dass ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden muss. Das ist an sich schon ein Erfolg. Aber am Ziel sind wir erst, wenn eine für alle Branchen gültige Untergrenze für Löhne gesetzlich verankert ist. Erfreulich ist auch die klare Positionierung des Kongresses in Sachen Leiharbeit: ver.di wird den Druck auf die Politik verstärken, damit das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz so geändert wird, dass Branchentarifverträge durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern nicht mehr unterlaufen werden können.

ver.di PUBLIK | Haben diese Schwerpunktsetzungen Auswirkungen auf die Gewerkschaftsarbeit in München?

PÜRZEL | Ja. Wir wollen den "Mindestlohn-Truck" nach München holen, um die Kampagne vor Ort erneut anzuschieben. Und die Leiharbeitsproblematik wollen wir gemeinsam mit den anderen Münchner DGB-Gewerkschaften angehen. Dazu haben wir bereits eine Umfrage zum Ausmaß des Einsatzes von Leiharbeitern in den Betrieben in unserem Bezirk durchgeführt. Ziel unserer Aktivitäten muss es sein, direkten Druck auf die Arbeitgeber auszuüben, die mit Leiharbeit Tarifdumping betreiben.

ver.di PUBLIK | Frank Bsirske hat dafür geworben, auch das Thema "Qualität der Arbeit" als gewerkschaftliches Thema anzupacken. Was hältst du davon?

PÜRZEL | Nun, wir verbringen einen erheblichen Teil unserer Lebenszeit am Arbeitsplatz - entsprechend groß ist der Einfluss unseres Arbeitsalltages auf unsere Lebensqualität insgesamt. Fast überall steigt der Arbeitsdruck, die Ausdehnung der Arbeitszeiten - beispielsweise im Handel - schränkt die Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, ein. Arbeits- und Privatleben müssen wieder in ein Gleichgewicht gebracht werden. Im Zusammenhang mit "Qualität der Arbeit" hat aber beispielsweise auch Qualifizierung eine große Bedeutung. Nur wenn Beschäftigte ausreichend qualifiziert werden, können sie den gestiegenen Anforderungen am Arbeitsplatz gerecht werden. Da müssen wir die Arbeitgeber in die Pflicht nehmen: Berufliche Qualifizierung darf nicht Privatsache sein.

ver.di PUBLIK | Die Bedeutung der Mitgliederentwicklung für unsere Finanzkraft und damit Durchsetzungsfähigkeit wurde mehrfach hervorgehoben. Was heißt das für ver.di München?

PÜRZEL | Wir gehen im Bezirk München so sorgsam mit unseren finanziellen Mitteln um, dass mittelfristig die Finanzierung unserer gewerkschaftlichen Arbeit sichergestellt ist. Langfristig kann es sich aber keine Organisation leisten, Mitglieder und damit Beitragseinnahmen zu verlieren. Wir müssen also vor Ort weiterhin alle nur möglichen Anstrengungen unternehmen, um Mitglieder in ver.di zu halten und neue hinzu zu gewinnen.

ver.di PUBLIK | Worüber hast du dich am meisten gefreut?

PÜRZEL | Wie aktiv die ver.di-Jugend in die Debatten eingegriffen hat. Mit dieser Gewerkschafts- jugend kann man, auf gut bayrisch g'sagt, wirklich noch was z'reissen.

ver.di PUBLIK | Hat dich auch etwas geärgert?

PÜRZEL | Ja, dass der Beschluss des Kongresses im Jahr 2003, die Zahl der Bundesvorstandsmitglieder auf elf zu reduzieren, nicht realisiert wurde. In Einklang zu bringende Satzungsregelungen haben dazu geführt, dass der Bundesvorstand nun 14 Mitglieder umfasst. Ich denke, dass das Kriterium für solche Entscheidungen die Frage sein muss, ob die gewerkschaftliche Durchsetzungsfähigkeit erhöht wird. Bei der vom Kongress getroffenen "14er-Entscheidung" haben aber nur selbst geschaffene Satzungszwänge eine Rolle gespielt.

interview: Heinrich Birner