Einige Firmen versuchen, den deutschen Postmindestlohn zu umgehen. Die Deutsche Post hat ihn mit ausgehandelt. Aber ihre Töchter im Ausland halten sich nicht immer an dort geltende Lohnuntergrenzen

Tariftreu zahlt auch TNT nicht überall

Die Angst vor den eigenen Kunden hat die PIN Group zur Einsicht gezwungen. "Die Diskussion um den Mindestlohn ist schlecht für unser Geschäft", erklärte PIN-Vorstandschef Horst Piepenburg den Richtungswechsel. Die Kunden würden massiv fragen, ob PIN den Post-Mindestlohn zahlt. Deswegen werde das Unternehmen es auch tun. Eigentlich ist es selbstverständlich: Der Gesetzgeber hat den zwischen ver.di und dem Arbeitgeberverband Postdienste e.V. ausgehandelten Vertrag für allgemeinverbindlich erklärt, der damit seit 1. Januar 2008 den Branchen-Mindestlohn für Briefdienstleistungen festschreibt. Aber nicht alle Arbeitgeber halten sich daran.

Einige versuchen, sich mit höchst fragwürdigen Tricks davor zu drücken. Ihre Zauberformel heißt "Mehrwertbriefleistungen". Mehrwert seien zum Beispiel Zustellungen am gleichen Tag oder das Abholen von Briefen nach 17 Uhr bei Zustellung am nächsten Tag. Weil sie diesen Service bieten, gehen sie davon aus, dass der Mindestlohn sie nicht betrifft.

"Gibt es zwei Tarifverträge, findet in einem Unternehmen der Tarifvertrag Anwendung, der spezieller ist", sagt Mario Frusch, Vorstandsvorsitzender TNT Post. TNT ist ebenso wie die Citipost Bremen, aber auch die PIN Group Mitglied im Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste. Der Verband hatte mit der so genannten Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste einen eigenen, wesentlich niedrigeren Vertrag abgeschlossen, den sie ebenfalls für allgemeinverbindlich erklären lassen wollen. Diese "Gewerkschaft" hatte sich, wie der Arbeitgeberverband, neu gegründet, um gegen den gesetzlichen Mindestlohn mobil zu machen. Und steht im Verdacht, von den Arbeitgebern initiiert und dominiert zu sein.

Stephan Teuscher, Tarifexperte im ver.di-Bundesfachbereich Postdienste, Speditionen und Logistik, stellt klar: "Der verordnete Mindestlohn steht wie ein Gesetz über dem Tarifvertrag. Ferner entscheidet der Gesetzgeber nicht danach, wie ein Brief zugestellt wird. Einzig die Tätigkeit des Beschäftigten, also ob er Briefe zustellt, ist entscheidend. Wie schnell der Brief beim Empfänger ist, ist nicht relevant, es ist ja auch nicht bedeutsam, ob der Brief rund oder eckig ist."

Die Spreu trennt sich jetzt vom Weizen

Von der Rechtsauffassung des eigenen Arbeitgeberverbandes ist ganz offensichtlich auch die PIN Group nicht überzeugt und zahlt den gesetzlichen Mindestlohn. "Jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen", stellt ver.di-Bundesvorstandsmitglied Andrea Kocsis fest. Während bei der PIN Group Seriosität Einzug gehalten habe, kündigten andere Unternehmen an, künftig in der Illegalität wirtschaften zu wollen. Dazu gehöre auch TNT. Die Beschäftigten und ver.di erwarteten gespannt die ersten Lohnabrechnungen nach Einführung des Mindestlohns, die zum 15. Februar vorliegen müssen. Falls TNT sich nicht an das Gesetz halte, fordert Andrea Kocsis eindeutig: "Wer den Mindestlohn nicht zahlt, bricht ein Gesetz und hat auf dem Markt nichts zu suchen." Dann werde TNT ebenso wie andere Briefdienstleister, die den gesetzlichen Mindestlohn verweigern, ein Fall für die Bundesfinanzdirektion. Zudem gilt die Klage von TNT vor dem Verwaltungsgericht Berlin als aussichtslos: Das Bundesarbeitsministerium teilte mit, es sehe der Klage gelassen entgegen.

TNT steht auch im Fokus der Gewerkschaftsinternationalen UNI, in der auch ver.di Mitglied ist. UNI-Generalsekretär Philip Jennings hat TNT-Unternehmensvorstand Peter Bakker aufgefordert, sich an den deutschen Mindestlohn zu halten. Sollte diese freundliche Mahnung zu keinem Ergebnis führen, will UNI stärkeren Druck ausüben. "Wir planen eine weltweite Kampagne gegen TNT - einerseits vor den TNT-Geschäftsstellen, aber auch Aktionen bei den größten Kunden des Konzerns", kündigte UNI-Postal-Präsident Rolf Büttner an. Der ehemalige ver.di-Vorstand ist sich sicher: "Die Kunden von TNT möchten nicht in Zusammenhang mit Gesetzesverstößen gebracht werden."

Gesetzlichen Mindestlohn mit Stücklohn umgehen

Probleme mit Arbeitgebern, die den gesetzlichen Mindestlohn umschiffen, gibt es auch im Ausland. In den Niederlanden steht die Deutsche Post in der Kritik. Sie war in Deutschland zwar als Mitglied im Arbeitgeberverband Postdienste e.V. Tarifpartner von ver.di beim Aushandeln des Mindestlohns. In den Niederlanden hingegen hat das einstige deutsche Staatsunternehmen über seine Tochter Selekt Mail Verträge mit rund 12000 selbstständigen Briefzustellern abgeschlossen. Sie werden nach Stücklohn bezahlt, pro Brief zwischen fünf und sechs Cent - damit kommen sie nicht auf den niederländischen Mindestlohn.

Illegal ist diese Regelung nicht, aber moralisch höchst fragwürdig. "Wir sind nicht auf einem Auge blind", versichert UNI-Präsident Rolf Büttner: "Wir erwarten, dass die Selekt Mail als Tochter der Deutschen Post mit den niederländischen Gewerkschaften in Tarifverhandlungen eintritt und dies dort so sozial regelt wie in Deutschland." Erste Gespräche zwischen niederländischen Gewerkschaften, Selekt Mail und TNT gab es Anfang Februar. "Diese Gespräche sind auf Druck von ver.di zustande gekommen", betont Rolf Büttner. "TNT hat sich daran zu beteiligen, sie beschäftigen rund 24000 selbstständige Briefzusteller."