Ausgabe 04/2008
Zwangsverkauf ist der falsche Weg
Erhard Ott ist Mitglied im ver.di-Bundesvorstand
ver.di PUBLIK | Die EU-Wettbewerbskommission fordert die Zerschlagung des deutschen Strom-Kartells. Die Bundesregierung hält die von den Stromversorgern angedachten Verkäufe ihrer Stromnetze für falsch. Was hält ver.di für richtig?
ERHARD OTT | Zunächst: Die Stromversorger denken den Verkauf ihrer Transportnetze an, weil sie von der EU-Kommission dazu genötigt werden sollen. Unabhängig davon halte ich den Zwangsverkauf von Netzen im Rahmen von so genanntem "ownership-unbundling" nicht für den richtigen Weg, mehr Markttransparenz im Strom- und Gassektor zu erzielen. Er gefährdet vielmehr die Versorgungssicherheit, weil es nicht gelingen wird, den potenziellen Käufer zu eindeutigen und langfristig-verbindlichen Investitionszusagen sowie zur adäquaten Instandhaltung der Netze zu verpflichten.
ver.di PUBLIK| Was bedeutet es für die Beschäftigten der großen Stromkonzerne, wenn sie mit den Netzen verkauft werden?
OTT | Zahlreiche Arbeitsplätze werden durch "ownership-unbundling" gefährdet, die Mitbestimmung wird auf kaltem Wege ausgehebelt.
ver.di PUBLIK| Entstehen nicht neue Arbeitsplätze bei den Stadtwerken und alternativen Stromanbietern, die die Netze übernehmen könnten?
OTT | Die derzeitige Initiative der Kommission zum Zwangsverkauf der Transportnetze denkt bereits offen darüber nach, auch die Verteilnetze einzubeziehen. Sollten aber kommunale und regionale Verteilnetze in den Zwangsverkauf einbezogen werden, ist das Ende der Stadtwerke als Wettbewerber am Markt wohl nicht mehr zu verhindern. Daraus resultiert weniger Wettbewerb und vor allem auch der Verlust tausender von Arbeitsplätzen in den Stadtwerken.
ver.di PUBLIK | Attac fordert die Überführung der Netze in öffentliches Eigentum und die demokratische Kontrolle durch die Bürger/innen. Ist das sinnvoll?
OTT | Derzeit wird die Gründung einer deutschen Netz AG diskutiert. Sie macht nur Sinn, wenn diese einen klaren Auftrag zur Aufrechterhaltung der Netzqualität und zum energiepolitisch erforderlichen Ausbau der Netze erhält.
ver.di PUBLIK| Würden mehr Wettbewerb und Kontrolle letztendlich nicht bessere Preise für die Verbraucher schaffen?
OTT | Nur ein Drittel des Strompreises entfällt auf die Netzkosten. Niedrigere Netzkosten durch die Regulierung werden derzeit durch höhere Brennstoffpreise und den Anstieg staatlicher Abgaben mehr als kompensiert. Sinken die Netzkosten aber weiter, werden die Renditen aus dem Netzbetrieb weiter drastisch gekürzt, ohne dass dies zu sinkenden Preisen führen muss. Sollte dieser Weg nicht entscheidend modifiziert werden, wird aber ein auskömmlicher Netzbetrieb in absehbarer Zeit nicht mehr möglich sein. In diesem Fall droht ein Ausverkauf an Finanzinvestoren - mit gravierenden Folgen für Netzqualität und Arbeitsplätze und damit für den Industriestandort Deutschland.