Ausgabe 06/2008-07
Der Risikofaktor Arbeitnehmer
Rolf Gössner ist Vizepräsident der "Intern. Liga für Menschenrechte"
Wir sind auf dem Weg in eine Überwachungs- und Kontrollgesellschaft. Das zeigen die zahlreichen Bespitzelungsskandale in der Privatwirtschaft mit aller Deutlichkeit: ob bei der Fast-Food-Kette Burger King, bei Lidl oder anderen Discountern, die ihre Angestellten systematisch bespitzeln und mit versteckten Kameras ausforschen, ob bei Novartis oder Lufthansa - und nicht zuletzt bei der Telekom, wo der dreiste Missbrauch von Vorratsdaten und die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses den kriminellsten Supergau der Telekommunikationsbranche auslöste. Das wirklich Beängstigende: Diese Skandale sind keineswegs bedauerliche Einzelfälle krimineller Energie, nein, sie haben System. Die meisten Aufträge aus der Wirtschaft zielen nach Angaben des Bundesverbands der Detektive darauf ab, das Verhalten der Arbeitnehmer auszuforschen. Es geht dabei nicht nur um die Aufdeckung von Warenklau und Korruption, um die Abwehr von Geheimnisverrat und Wirtschaftsspionage, sondern auch um verdächtige Gewerkschaftszugehörigkeit und Verhinderung von lästigen Betriebsräten - und nicht zuletzt um Arbeits- und Leistungskontrolle. Kurz: Arbeitnehmer gelten als Risikofaktoren.
In der Arbeits- und Wirtschaftswelt haben sich längst vernetzte Überwachungszonen herausgebildet: Werkschutz- und Kontrollsysteme, die über externe Detekteien und private Sicherheitsfirmen organisiert oder von abgeschotteten Geheimabteilungen betrieben werden. Dort arbeiten viele Ex-Bedienstete aus Geheimdiensten, Polizei oder Bundeswehr. Der Übergang von staatlicher und betrieblicher Überwachung ist fließend und die geheime Verflechtung der Sicherheitsinteressen undurchdringlich.
Es droht ein unkontrollierbarer Staat im Staate - ein undemokratischer Wirtschaftssektor mit eigenen Sicherheitsorganen in einem demokratischen Rechtsstaat, der im Übrigen längst nicht mehr ist, was er laut Lehrbuch sein sollte. Ein ausufernder Antiterrorkampf bescherte uns eine besorgniserregende Einschränkung der Freiheitsrechte und Entgrenzung staatlicher Gewalten. Polizei- und Geheimdienstbefugnisse wurden ausgeweitet, Sicherheitsüberprüfungen von Arbeitnehmern auf "lebens- und verteidigungswichtige" Betriebe ausgedehnt, biometrische Daten in Ausweispapieren erfasst und Migranten unter Generalverdacht gestellt. Das Bundeskriminalamt soll zu einem deutschen FBI ausgebaut werden, dem geheimpolizeiliche Präventivbefugnisse zustehen. Polizei und Geheimdienste werden mehr und mehr verzahnt, und die Bundeswehr mutiert zur nationalen Sicherheitsreserve, die auch im Landesinnern eingesetzt wird. Der entfesselte Sicherheitsstaat im permanenten Ausnahmezustand rückt in greifbare Nähe.
Parallel zu diesem System der "Inneren Sicherheit" hat sich ein spezielles Überwachungssystem im Sozialwesen herausgebildet: Mit oft rigiden Melde- und Nachweispflichten werden Empfänger von Arbeitslosengeld II unter den Verdacht des potentiellen Leistungsmissbrauchs gestellt. Die behördliche Neugier macht vor kaum einem Lebensbereich der Betroffenen halt. Mit teils inquisitorischen Fragen in den Erfassungsbögen, mit Kontroll-Hausbesuchen und dem Abgleich hochsensibler Daten mit Fremddateien greift der Staat tief in den Sozialdatenschutz und damit in die Privatsphäre von Langzeitarbeitslosen ein.
Wer wundert sich angesichts dieser Art von Sicherheits- und Kontrollpolitik, dass auch in der Wirtschaft die Kontrollwut immer stärker um sich greift. An Ethik und Gesetzestreue der Unternehmer appellieren ausgerechnet jene Sicherheitspolitiker, deren Unrechts- und Datenschutzbewusstsein längst abhanden gekommen ist. Jedenfalls verweist die hohe Anzahl von Gesetzen und Maßnahmen, die in letzter Zeit vom Bundesverfassungsgericht für illegal erklärt werden mussten, auf ein katastrophales Verfassungsbewusstsein in der politischen Klasse.
Was also tun? Mit Selbstverpflichtungen zur Einhaltung des Datenschutzes ist es nun wirklich nicht getan. Wirksamer wäre es, die Datenschutzkontrolle zu verstärken und die lächerlich niedrigen Bußgelder im Fall von Datenmissbrauch drastisch zu erhöhen. Und im staatlichen Sektor? Hier sollte der Telekom-Skandal genutzt werden, die gesetzlich erzwungene Vorratsspeicherung von Massendaten wieder zu kippen, mit der Telekommunikationsbetriebe zu Hilfspolizisten gemacht und dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet wurde. Und wir brauchen eine Diskussion über das Problem ausufernder Überwachung in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, in der Bürgerrechte nur noch inhaltslose Hüllen sind. Wir brauchen eine Generalrevision aller Notstandsgesetze für den Alltag, die im Namen der Terrorismusbekämpfung erlassen wurden. Gewerkschaften, Datenschützer und Bürgerrechtsgruppen sind hier besonders gefordert, diesem gefährlichen Treiben endlich Einhalt zu gebieten.
"Es geht nicht nur um die Aufdeckung von Warenklau und Korruption, sondern auch um Verhinderung von lästigen Betriebsräten"