Eine Reise ins geteilte Cieszyn, dem einstigen Teschen. Eine Begegnung mit Deutschen, Polen und Tschechen

In den heruntergekommenen Wechselstuben links und rechts der Friedensbrücke über die Olza fühlt man sich in den tiefsten Osten verschlagen. Dabei herrscht an dieser Grenze zwischen Tschechien und Polen längst grenzenloser Verkehr, nachdem beide Staaten dem Schengener Abkommen beigetreten sind. Cieszyn und Ceskÿ Tesín, ehemals Teschen, wie der schlesische Ort bis zum Ende des ersten Weltkriegs genannt wurde, sind heute zwei getrennte Städte. Die Grenze verläuft entlang des Flusses Olza. In Teschen stießen das preußische Schlesien und das österreichische Schlesien aufeinander. Nach dem Zusammenbruch der Habsburgmonarchie 1918 fiel der östliche Teil der Stadt an Polen und wurde Cieszyn, der westliche Teil ging unter dem Namen Ceskÿ Tesín ans heutige Tschechien.

Inzwischen kaufen die tschechischen Bürger jenseits der Brücke in Polen massenhaft Lebensmittel und technisches Gerät, die Polen schätzen das gute Bier auf der anderen Seite der Olza. Und niemand stört sich daran, wenn man für beide Stadtteile das deutsche Wort Teschen benutzt. Ansonsten steht man sich eher skeptisch gegenüber, auch wenn sich die beiden Stadthälften gemeinsam auf das 1200. Jubiläum der Stadt im Jahr 2010 vorbereiten. "Nachdem die Grenzen weg waren, hatten wir auf polnischer Seite Angst vor Zigeunern und Bettlern. Die Tschechen fürchteten unsere Taschendiebe", fasst der Bürgermeister des polnischen Teils, Bogdan Ficek, die gegenseitigen Vorurteile zusammen.

Gestern und heute

Teschen ist eine mittelalterliche Stadt, in der nach großen Stadtbränden heute Barock und Klassizismus dominieren. Einst profitierte die Stadt von ihrer Lage an der Kaiserstraße von Wien nach Krakau. Damals - eine blühende mitteleuropäische Stadt. Heute - ein typisch osteuropäisches Schtetl am Fluss, wie es in jüdischen Liedern gern besungen wird. Auch Teschen hatte einst eine große jüdische Gemeinde. Der überwucherte jüdische Friedhof ist einer der ältesten in Polen. Er wurde 250 Jahre lang genutzt, aber im zweiten Weltkrieg mit der Deportierung und Verfolgung der polnischen Juden verwüstet. 1709 wurde die Jesuskirche, die evangelische Gnadenkirche gebaut - ein Zugeständnis der damals herrschenden Österreicher an den protestantischen Schwedenkönig. Heute lebt mit 7000 Mitgliedern die größte protestantische Gemeinde Polens in Cieszyn. "Nicht ohne größere Meinungsverschiedenheiten mit dem herrschenden Katholizismus", sagt der protestantische Pfarrer Janusz Sikora.

Erinnerungen ohne Zorn

Unsere Gruppe nimmt an einer Informationsreise des deutschen Kulturforums östliches Europa, des Adalbert-Stifter-Vereins und des Schlesischen Museums in Görlitz teil. Schwerpunkt der Reise ist die Begegnung mit Deutschen, die nach dem 2. Weltkrieg hier geblieben sind. So lernen wir Eugenia Dobrowolska kennen. Der agilen, eleganten 77-Jährigen macht es sichtlich Spaß zu erzählen. Geboren ist sie in Cieszyn, heute lebt sie in Gliwice (Gleiwitz) und ist Vorsitzende des dortigen Ortsverbandes für die deutsche Minderheit.

Jenny, wie sie sich gerne nennen lässt, spricht den typisch schlesischen Akzent und ist unerschöpflicher Quell immer neuer, alter Geschichten: von Kaisers Herrlichkeit über die Kultur der Deutschen im damaligen Teschen, bis zu Vertreibung und Nachkriegszeit. Sie ist verheiratet mit einem polnischen Mediziner und Fürsprecherin für Toleranz und gegen Revanchismus. "Es gab gute und böse Menschen auf allen Seiten", sagt sie schlicht. Die da gebliebenen Deutschen hätten ihren Frieden mit der Vergangenheit gemacht, mit Vertreibung und abwechselnder Diskriminierung, behauptet Jenny. "Heute geht es uns um den Erhalt der Sprache und der Kultur."

Über entschwundene Kulturen

Auch die Prager Bürgerinitiative Antikomplex bemüht sich seit Ende der 90-er Jahre um die Erinnerung an eine entschwundene Kulturlandschaft. Die Initiative ehemaliger tschechischer Studenten hat die Ressentiments gegen die Deutschstämmigen hinter sich gelassen. Darin hatte sich der umstrittene tschechische Ministerpräsident Milos Zeman tief verstrickt, als er noch 2002 die Sudetendeutschen als "fünfte Kolonne Hitlers" beschimpfte.

Matìj Spurnÿ ist einer der Initiatoren von Antikomplex. Wir treffen den jungen Historiker bei Rinderbraten und Knödeln im Altstadtrestaurant Maska im tschechischen Teil der Stadt. "Über 3000 Dörfer und Städte sind im Grenzgebiet verödet", sagt Matìj. In dem Buch Verschwundenes Sudetenland hat die Gruppe diesen Prozess dokumentiert. "Die dort neu angesiedelten Tschechen und Minderheiten - neben Roma auch Slowaken und Flüchtlinge aus dem bürgerkriegsgeschüttelten Griechenland - konnten die Struktur in den von den Deutschen hinterlassenen Orten nicht aufrechterhalten. Sie hatten keine Beziehung zu der Region", sagt er. Von den ehemals 3,2 Millionen Sudetendeutschen durften nur rund 200000 in der Tschechoslowakei bleiben, weil sie als antifaschistisch eingestuft wurden, mit einem tschechischen Partner verheiratet waren oder gebraucht wurden.

Jenny begleitet uns durch die Altstadt, vorbei am "Teschener Venedig", einer malerischen Ecke in der Nähe des Stadtbrunnens, weiter zum Theaterplatz, dem ersten Marktplatz des mittelalterlichen Teschen. Richtig begeistert ist Jenny vom Alten Theater im Wiener Neubarock, entworfen von der Wiener Architektenfirma Fellner & Hellmer, deren Bauwerke die Habsburger Monarchie schmückten. Im damaligen deutschen Theater, das heute Adam-Mickiewicz-Theater heißt, hat Jenny schon als Siebenjährige getanzt und von einer Schauspielkarriere geträumt. Ein Traum, der wie viele andere in den Wirren der Zeit unterging.

Das schlesische Museum

Das Schlesische Museum ist seit 2006 in einem alten Renaissancebau in der Grenzstadt Görlitz untergebracht. Träger des Museums ist ein Stiftung, in der sich die Bundesrepublik Deutschland, der Freistaat Sachsen, die Stadt Görlitz und die Landsmannschaft Schlesien zusammengetan haben. Ziel des Museums ist es, eine Kulturlandschaft in der Mitte Europas vorzustellen, die Jahrhunderte lang von Deutschen geprägt war. Für die ständige Ausstellung stehen 2000qm zur Verfügung. Die Sonderausstellung Ein vergessenes Arkadien. Schlösser und Parkanlagen der ehemaligen Grafschaft Glatz läuft noch bis zum 28. September 2008. Sie ist eine in deutsch-polnischer Zusammenarbeit entstandene Wanderausstellung.

www.schlesisches-museum.de