Chef einer Arbeitsgemeinschaft und eines Altenheims in einer Person - der Staatsanwalt wirft dem Angeklagten Untreue, Lohnwucher und Nötigung vor

Ein-Euro-Jobs - die Gefahr des Missbrauchs ist groß

Von Annette Jensen

Ulrich Lammers war nicht nur Chef einer Arbeitsgemeinschaft (Arge) in Recklinghausen, sondern leitete auch ein Altenheim. Für das beantragte er 40 Ein-Euro-Jobber - und bekam sie genehmigt. Als der Betriebsrat den Abbau fester Stellen öffentlich machte, sollte er gekündigt werden.

Eigentlich hatte Ulrich Lammers versprochen, sein Amt als Geschäftsführer des städtischen Altenheims Grullbad niederzulegen, als er vor vier Jahren die Leitung der Recklinghauser Arge "Vestische Arbeit" übernahm. Doch gehalten hat der CDU-Mann das Versprechen nicht. Im Gegenteil: Er nutzte seine neue Macht und erstellte ein Konzept für den Einsatz von 40 Ein-Euro-Jobbern in dem defizitären Altenheim. Die sollten dort offiziell selbstverständlich eine Qualifizierung bekommen und ausschließlich für "zusätzliche" Tätigkeiten eingesetzt werden.

Hilfskräfte erledigen reguläre Arbeiten

Doch die Realität sah anders aus. Die Hilfskräfte machten Betten, verteilten Essen und putzten die Zimmer - alles Tätigkeiten, die zum Alltag jedes Altenheims gehören und damit keinesfalls "zusätzlich" sein können. Solche Arbeiten sind über Pflegesätze zu finanzieren - so steht es im Gesetz. Die Fortbildung beschränkte sich fast vollständig auf "Learning by doing". Für dieses "Heranführen an den ersten Arbeitsmarkt" kassierte das Altenheim dann pro Monat und Nase etwa 500 Euro und sanierte damit seinen maroden Haushalt. In punkto niedrige Kosten für Unterkunft und Verpflegung rückte es auf diese Weise sogar auf Platz zwei im Kreis vor - was wiederum andere Altenheime der Region bei den Personalkosten mächtig unter Druck brachte.

Summa summarum sollen nach Angaben des Bochumer Staatsanwalts Christian Kuhnert 450000 Euro von der Arge ins Seniorenzentrum Grullbad geflossen sein. Ein Jahr lang hatte er recherchiert und dann im April Anklage gegen Lammers erhoben. Mitte Oktober soll das Landgericht über die Eröffnung des Verfahrens entscheiden.

Erstmals öffentlich geworden waren die Zustände, als die Küche des Altenheims ausgelagert wurde und eine Angestellte gegen ihre betriebsbedingte Kündigung klagte. Sie wies vor dem Arbeitsgericht darauf hin, dass sie an den Arbeitsplätzen weiter arbeiten könnte, die nun von Ein-Euro-Jobbern besetzt waren. Als dann auch noch der Betriebsrat bestätigte, dass mit Hilfe der Langzeitarbeitslosen die Stammbelegschaft verringert worden war, schlug Bürgermeister Wolfgang Pantförder (CDU) zurück. Um alles unter der Decke zu halten, drohte er mit einer Schadensersatzklage, sollte jemand die Behauptung wiederholen.

Betriebsrat soll Brötchen nicht korrekt bezahlt haben

Wenig später sah sich der Betriebsrat dann mit dem Ansinnen konfrontiert, den Vorsitzenden Rolf Kohn fristlos zu kündigen: Angeblich hatte er die Brötchen des Betriebsrates nicht korrekt in der Verwaltung abgerechnet. Doch das Arbeitsgericht rechnete nach und kam zu dem Ergebnis, dass Kohn sogar einige Cent zu viel abgegeben hatte. Die Stadt Recklinghausen ging in die Berufung - und verlor auch den zweiten Prozess. Kohn konnte bleiben.

Dass keine andere Institution im Kreis so viele Ein-Euro-Jobber zugeteilt bekommen hatte wie das Altenheim Grullbad, stellte sich dann bei einer Anhörung des Kreistages heraus. Außerdem hat Lammers zwei seiner Arge-Mitarbeiter auch für Arbeiten eingespannt, die das Altenheim betrafen. Der Staatsanwalt hat ihn wegen Untreue, Lohnwucher und Nötigung angeklagt.

Zwar gibt es inzwischen sowohl in der Arge als auch im Altenheim neue Geschäftsführer. Doch zum Arbeitsamt musste Lammers deshalb nicht: Die Stadt Recklinghausen übertrug ihm zunächst das Abrechnungswesen der städtischen Feuerwehr, und inzwischen ist der Ex-Arge-Chef krank geschrieben.

"Wir hoffen, dass im Prozess endlich auch klar wird, welche Rolle der Bürgermeister bei alledem gespielt hat", sagt der Vorsitzende der ver.di-Landesfachkommission Pflege Detlev Beyer-Peters. Pantförder wollte sich gegenüber ver.di PUBLIK nicht äußern; zu einem laufenden Verfahren mache er keine Aussage, ließ er mitteilen.

Derweil wittern Lammers Verteidiger hinter allem eine üble Kampagne gegen ihren Mandanten und eine Gefahr für sämtliche Arge-Mitarbeiter der Republik, die Ein-Euro-Jobs genehmigen. Bürgermeister Pantförder scheint das ähnlich zu sehen. "Eine Abschaffung der Ein-Euro-Jobs gibt es mit uns nicht. Wir wollen Menschen ohne Arbeit auch weiterhin eine Perspektive bieten", zitierte ihn die Recklinghäuser Zeitung Ende Februar. Dass genau dies durch Ein-Euro-Jobs nicht geschieht, ignoriert man in Recklinghausen offenbar. Dabei hat eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schon vor über einem Jahr festgestellt, dass Ein-Euro-Jobs völlig untauglich sind, um Langzeitarbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.