Ausgabe 11/2008
Ständig auf Abruf
Von Gudrun Giese |Norma ist dabei, andere Discounter in ihrer Härte gegenüber den Beschäftigten noch zu übertreffen
Billiger, billiger, billiger. Einkauf bei Norma
Der Arbeitstag begann für sie an einem Samstag um 7 Uhr 30 und endete nach zwölfeinhalb Stunden. Eine Pause durfte die Verkäuferin Sandra D. (Name geändert) nicht machen, bezahlt wurde die Mehrarbeit auch nicht. Das von Lidl und anderen bekannte Prinzip "Billig auf Kosten der Beschäftigten" lässt sich offenbar noch überbieten. Bei Norma, der Nummer 6 unter den Lebensmittel-Discountern, herrschen vielerorts Arbeitsbedingungen, die an Sklaverei erinnern.
Das erlebten die Norma-Mitarbeiter/innen einer Filiale in Coburg, die Ende Januar den ersten Betriebsrat bundesweit gewählt haben. Nachdem es der Geschäftsleitung nicht gelungen war, die Wahl zu verhindern, setzte sie die Beschäftigten unter Druck. Anfang Oktober unterzeichnete der gewählte Betriebsrat einen Aufhebungsvertrag und verpflichtete sich, keine Erklärungen zu Norma abzugeben.
Doch ver.di-Sekretär Hilmar Müller aus Bamberg hat die Ereignisse in der Coburger Filiale miterlebt. Er berichtet: "Nach der Betriebsratswahl wurde die Filiale mit Kontrollen überzogen. Es gab Abmahnungen, die Zahl der Beschäftigten wurde von elf auf fünf reduziert, gleichzeitig hat man die Öffnungszeiten verlängert." Beschimpfungen und Drohungen gehörten zum Umgangston. Schließlich wurde der Betriebsrat, zugleich Filialleiter und seit vielen Jahren im Unternehmen, so krank, dass der Arzt ihm riet, den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen. Sein Nachrücker steht nun unter verschärfter Beobachtung, will aber die Arbeit fortsetzen. Zu allem Überfluss muss sich der Betriebsrat weiter mit einer Wahlanfechtungsklage auseinandersetzen, nachdem er in erster Instanz verloren hatte. Die Begründung dafür stand bei Redaktionsschluss noch aus.
Telefonterror
Auch Mitarbeiter/innen anderer Norma-Filialen berichten über rüde Umgangsformen und extremen Arbeitsdruck. Eine Beschäftigte aus einer bayerischen Kleinstadt beschreibt, was nach Abgabe ihrer Krankmeldung passierte: "Telefonterror im Zehn-Minuten-Takt. Ich solle meine Krankmeldung zurücknehmen, da ich sonst meine Kündigung riskiere. Kurz vor 22 Uhr klingelte es, da stand der Bezirksleiter vor der Tür." Er behauptete, die Frau sehe kerngesund aus, er könne die Krankmeldung nicht akzeptieren. Die Beschäftigte hielt dem Druck stand, was bei Norma längst nicht allen gelingt. Unbezahlte Mehrarbeit ist an der Tagesordnung, im Krankheitsfall wird der Lohn nicht gezahlt, Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz sind üblich. Eine Berliner Norma-Beschäftigte berichtet, dass bei 12- oder 14-Stunden-Schichten lediglich zehn Stunden aufgeschrieben und bezahlt werden. Verbreitet ist Arbeit auf Abruf, das heißt, dass Beschäftigte selbst an freien Tagen zu einem Sondereinsatz in die Filiale geholt werden können. Niemand möchte mit seinem Namen zitiert werden. Es herrscht ein Klima der Angst.
Pflichtumsatz
Parallelen zu Lidl und Aldi (Nord und Süd) weist Norma auch in anderer Hinsicht auf. Wie die drei größten deutschen Lebensmittel-Discounter ist Norma ein Familienunternehmen, das sich zu einer Firma mit Milliardenumsätzen entwickelt hat. 1921 als Filialunternehmen von Georg Roth in Fürth gegründet, hatte Norma im Jahr 2007 unter Inhaber Manfred Georg Roth bundesweit rund 1200 Filialen, die nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung 3,1 Milliarden Umsatz erwirtschafteten. Ebenso wie Aldi und Lidl setzt Norma auf einfache Ladenausstattung, begrenztes Sortiment und äußerst sparsamen Personaleinsatz.
"Bei Norma sind 365 Euro Umsatz pro Personalstunde Pflicht. Diese Leistung wird dem Filialleiter abgefordert, nicht den Bezirksleitern wie bei anderen Discountern", sagt Hilmar Müller. So gibt es Filialen, die mit einer Beschäftigten pro Schicht auskommen müssen, weil die hohen Vorgaben nicht mehr Personal zulassen.