Durch die Krise sinken vielerorts die Aufträge. Manche Druckereien, Baumärkte, Luftfrachtunternehmen und Häfen reagieren mit Kurzarbeit

"Die Leute bei der Arbeitsagentur waren geplättet", berichtet Norbert Koesling, der bei ver.di die Praktiker-Baumärkte betreut. Kurzarbeit im Einzelhandel - das habe es ja noch nie gegeben. Doch weil für das arbeitsmarktpolitische Instrument seit Anfang Februar neue Regeln gelten, kann die Baumarktkette es jetzt nutzen: Geht in einer Filiale der Umsatz um mehr als zehn Prozent zurück, arbeiten die Mitarbeiter jeweils zwei Tage weniger im Monat. Den Verdienstausfall ersetzt das Arbeitsamt bei Alleinstehenden zu 60 Prozent; wer eine Familie hat, bekommt 67 Prozent. Jeden Monat wird die Lage neu geprüft, und auch differenzierte Lösungen zum Beispiel nur für die Gartenbauabteilung sind denkbar.

Etwa ein Viertel der Praktiker-Märkte arbeiten im März dieses Jahres mit einer ausgedünnten Belegschaft. "Das ist natürlich viel besser, als wenn es dort zu Entlassungen käme", sagt Koesling. Von der Regelung, die bis zu 18 Monate lang genutzt werden kann, profitieren Beschäftigte und das Unternehmen gleichermaßen: Die komplette, gut eingearbeitete Mannschaft bleibt an Bord.

Während Praktiker Vorreiter in seiner Branche ist, ist Kurzarbeit im Transportgewerbe weiter verbreitet. Bei Lufthansa Cargo ist der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel eingebrochen. Die Konsequenz: Die 2600 Bodenmitarbeiter in Deutschland arbeiten zur Zeit nur 80 Prozent, bekommen aber immerhin 90 Prozent ihres Lohns. Ganz fatal sieht es für viele Logistikbetriebe aus, die Teile für die Autoproduktion transportieren. Und auch in den Häfen sind die Ladungen seit November zum Teil auf die Hälfte geschrumpft, nachdem im Sommer noch exorbitante Zuwachsraten registriert worden waren. Von den 2800 Beschäftigten des Gesamthafenbetriebs in Bremen und Bremerhaven haben 1800 zeitweise zwangsfrei; manche müssen sogar ganz zu Hause bleiben. Die Garantiekasse, mit der der Ersatzlohn bisher aufgestockt wird, ist fast leer. "Wenn es so bleibt, sind betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr ausgeschlossen", sagt der ver.di-Hafensekretär Harald Bethge.

Der ver.di-Bundesfachgruppenleiter für Logistik, Werner Scheffer, plädiert dafür, bei den wirtschaftlichen Daten kritisch hinzugucken. "Manche Arbeitgeber malen jetzt Horrorszenarien, weil sie bestimmte Teile ihres Personals loswerden wollen." Viele Transport- und Lagerunternehmen haben sich seit Herbst bereits von ihren Leiharbeitern getrennt und Überstundenkonten abgebaut. Nun gehen bei ver.di verstärkt Anfragen nach Sanierungstarifverträgen ein.

"Wir merken die Krise nicht an der Zahl der Auftragseingänge, sondern an deren Umfang", berichtet Helmut Ebel, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Kolb Wellpappe. Auf etwa 30 Prozent schätzt er das gegenwärtige Minus. "Der Arbeitgeber will am liebsten, dass die Kollegen Urlaub nehmen, aber wir sind für Kurzarbeit." Zur Zeit laufen die Verhandlungen über eine entsprechende Betriebsvereinbarung. In solchen Verträgen wird nicht nur geregelt, wie lange im Voraus die Mitarbeiter erfahren, wann sie zu Hause bleiben sollen.

In vielen Fällen gelingt es auch, das gesetzliche Kurzarbeitergeld durch das Unternehmen aufstocken zu lassen. So bekommen die Beschäftigten der CWN Druckerei in Hameln bis zu 95 Prozent ihres Nettolohns, auch wenn sie ein Drittel weniger arbeiten. Nach zwei Kurzarbeitsmonaten zu Beginn des Jahres läuft dort gerade alles wieder normal. Aufgrund solcher Schwankungen sei es aber schwierig, in den Ausfallzeiten Weiterbildungen zu organisieren, sagt Betriebsrätin Anke Sprenger. Doch sie bemüht sich. Schließlich hat der Staat finanzielle Anreize geschaffen, damit Betriebe die Kurzarbeitsphasen für die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter nutzen.

Annette Jensen

Kurzarbeiterboom

Im Februar wurden 700038 Beschäftigte von ihren Betrieben neu zur Kurzarbeit angemeldet. Im Januar waren es 290774 - und vor einem Jahr gerade einmal 15248. Die mit Abstand größte Gruppe sind Beschäftigte im produzierenden Gewerbe. Doch auch in vielen Dienstleistungsunternehmen gibt es extreme Steigerungsraten. In der Branche Verkehr und Lagerei stehen jetzt 17196 Menschen neu auf den Listen und damit 49 Mal so viele wie vor einem Jahr. Wie viele Menschen gegenwärtig tatsächlich kurzarbeiten, weiß niemand, weil die Statistik erst mit mehrmonatiger Verspätung vorliegen wird. Manche Betriebe melden vorsorglich Kurzarbeit an und nutzen die Möglichkeit dann doch nicht oder nur teilweise.