Ausgabe 04/2009
Bange machen gilt nicht
In Mayen-Remagen haben die Schleckers nichts zu lachen
von Jürgen DehnertOh, die Zahnseide ist alle. Schnell noch mal zum Schlecker. Die Verkäuferin lässt fünf Jungs beim Anprobieren von Sonnenbrillen allein und begrüßt mich lächelnd. Ich gehe zielstrebig vorbei und finde meine Hausmarke. Leider keine gewachste, nehme ich halt die andere. Schnell zur Kasse, ich habe da so was Hartnäckiges zwischen den Zähnen.
"Haben Sie gesehen, wir haben in dieser Woche Zahnweiß im Angebot?" Ich bin beleidigt und gucke zu Boden. Dort klebt ein rotes Preisschild, Sonderpreis 99 Cent. "Hier haben Sie unser Anzeigenblatt mit allen Angeboten. In unserem Internetshop können Sie übrigens rund um die Uhr bestellen." Ich gucke jetzt schon etwas genervt. "Oh, ich sehe, Sie haben Kopfschmerzen. In unserer Versandapotheke haben wir alle führenden Schmerzmittel zu Schlecker-Preisen."
Einfach keine Zeit
In Wirklichkeit hat natürlich keine Verkäuferin bei Schlecker Zeit für diesen Service-Terror. Marion Tesche, Betriebsratsvorsitzende im Bezirk Mayen-Remagen: "Wir kämpfen um jede Besetzungsstunde. Der Arbeitgeber arbeitet darauf hin, dass es für jede Filiale nur noch eine Vollzeitstelle gibt, in der Regel geteilt durch zwei Personen. Krankheitsvertretungen Fehlanzeige."
Meine Verkäuferin ist also so lange wie möglich hinten geblieben. Sie war allein im Laden und musste dringend Ware auspacken und gleichzeitig aufpassen, dass die Jungs die Sonnenbrillen nicht aus Versehen aufbehalten, wenn sie rausgehen. Dann schnell nach vorne, um mich abzukassieren und schnell wieder nach hinten zur Ware und den Jungs. Auf die aktuellen Angebote, den Internetshop, die Versandapotheke und das Anzeigenblättchen hat sie nicht hingewiesen. Aus Zeitmangel und weil sie aus Erfahrung weiß, dass die meisten Kunden sowieso schon Bescheid wissen und sich nur belästigt fühlen.
Obwohl unsere Verkäuferin umsichtig war und trotz Stress nicht unfreundlich, hat sie damit, wäre ich ein Testkäufer, eine Abmahnung riskiert. Abmahnung, weil sie nicht "aktiv verkauft", das heißt Internetshop, Anzeigenblättchen und Versandapotheke angepriesen hat. Abmahnung, weil sie das Preisschild am Boden und das leere Zahnseidefach übersehen hat. Marion Tesche: "Es gibt wohl 100 Vorschriften, die arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können, wenn sie nicht beachtet werden. Es kommen ständig neue dazu." Die Abmahnungen werden gesammelt, um Kündigungen damit wasserdicht zu machen. Überproportional betroffen sind ältere Arbeitnehmerinnen, und auch Betriebsrätinnen sind auffallend oft dabei. Ein System der Angst.
Unbeirrte Betriebsratsarbeit
Bange machen gilt aber nicht für Marion Tesche und ihre Mitstreiterinnen im Betriebsrat. Der jahrelange Kleinkrieg hat sie nicht klein gekriegt. Sie leisten unbeirrt konsequente Betriebsratsarbeit, auch wenn der Druck stetig wächst. Sie lassen keine Neueinstellung zu untertariflichen Bedingungen zu und setzen sich für jede Beschäftigte ein, exponieren sich dabei ständig persönlich gegenüber den Vertreter/innen des Arbeitgebers.
Offensichtlich überzeugt das. Von den 96 Beschäftigten ist nur eine Handvoll nicht Mitglied bei ver.di. "Eigentlich sind das 100 Prozent Organisationsgrad, denn wenn die restlichen noch eintreten, würden andere wieder rausgehen", sagt Marion Tesche.
Sorgen bereitet eine neue Entwicklung. In Remagen wird ein neuer Schlecker-XL-Markt eröffnet, zeitgleich werden zwei Verkaufsstellen geschlossen, die Arbeitsplätze fallen weg. Im neuen Schlecker-XL-Markt gibt es keine Tarifbindung und keinen Betriebsrat. Das ist Teil des von Schlecker angekündigten sogenannten "XL-Konzepts" mit Märkten, die bis zu 800 Quadratmeter Verkaufsfläche haben sollen. Bundesweit stehen 12000 Stellen und 4000 Läden auf der Kippe.
Die Betriebsrätinnen in Mayen-Remagen haben den Kampf aufgenommen. Zum Internationalen Frauentag gab es in der Remagener Fußgängerzone nicht die traditionellen roten Rosen, sondern rote Karten für Anton und Christa Schlecker. Nach einer Betriebsversammlung waren die Beschäftigten in die Innenstadt gezogen und hatten die Bevölkerung über die Schlecker-Pläne informiert. Wer Marion Tesche und ihre Mitstreiterinnen kennt, weiß, die Schleckers haben sich keine leichten Gegnerinnen ausgesucht.