Ausgabe 11/2009
Das Kreuz mit dem Kreuz
von Uta von Schrenk
Jeder Rücken braucht Beachtung
Ob als Pflegerin im Seniorenheim, Erzieherin in der Kindertagesstätte oder als Callcenter-Agent im Großraumbüro - der Rücken der meisten Beschäftigten hat im Laufe eines Arbeitstages viel zu ertragen. Laut Statistischem Bundesamt leiden knapp eine Million Erwerbstätige an Bandscheibenvorfällen, Muskel- und Gewebeverletzungen oder Arthrosen. Damit nehmen Rückenkrankheiten einen traurigen Spitzenplatz in der Statistik ein: 2007 war jeder zehnte Krankheitstag darauf zurückzuführen; alle Muskel-Skelett-Erkrankungen zusammen sind sogar für ein Viertel der Fehltage die Ursache.
Wie aber kommt es zu einer Verbreitung solcher Leiden quer durch alle Branchen - von der Müllentsorgung bis zum Büro-Management? Nach Erhebungen der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sind zwar vor allem Leute in der Landwirtschaft, Pflege und Gastronomie sowie im Baugewerbe und Handwerk betroffen. Doch auch viele Beschäftigte in der Dateneingabe haben Rückenprobleme.
Der Grund: Der Rücken nimmt fast alles übel. Überbelastung, Fehlbelastung, aber eben auch Unterbelastung - und zwar physischer wie psychischer Art. Eine untrainierte Rückenmuskulatur kann ebenso zu einem chronischen Krankheitsbild führen wie schwere körperliche Tätigkeiten. Trotz der fortschreitenden Automatisierung der Arbeit dürfen die körperlichen Belastungen nicht unterschätzt werden: 62 Prozent der Beschäftigten in Europa führen Bewegungen aus, die sich ständig wiederholen. 46 Prozent müssen ermüdende oder schmerzhafte Körperhaltungen einnehmen, und 35 Prozent bewegen schwere Lasten. Das ergab eine Umfrage der Europäischen Stiftung für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen.
Meist mehrere Ursachen
Was die psychische Seite von Rückenleiden anbelangt, so handelt es sich um ein "multifaktorielles Phänomen", wie Ralf Schweer von der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) es auf einer ver.di-Tagung formulierte. Er leitet im Rahmen der gemeinsamen Arbeitsschutzstrategie von Bund, Ländern und Unfallversicherung das Programm "Gesund und erfolgreich arbeiten im Büro". Schweer ist überzeugt, dass Rückenleiden in der Regel mehrere Ursachen haben. Zunächst spielt eine Rolle, wie fit jemand körperlich ist und welche physische Ausstattung er oder sie mitbringt. Ebenfalls von entscheidendem Einfluss ist, ob jemand gelassen oder gestresst auf seine Umwelt reagiert. Hinzu kommen psychosoziale Arbeitsplatzfaktoren wie die Zufriedenheit mit der eigenen Tätigkeit und den Kollegen. Sind die Belastungen in diesem Bereich hoch, besteht ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko für eine Erkrankung, wie eine Untersuchung unter Verwaltungsangestellten ergab. Und schließlich spielen in die Entstehung von Muskel-Skelett-Erkrankungen auch ergonomische Arbeitsplatzfaktoren hinein. Muss jemand den ganzen Tag in Zwangshaltung am Schreibtisch sitzen oder ist er gar einer besonders schädlichen Ganzkörpervibration ausgesetzt, belastet das den Körper enorm.
Schutz durch Tarifverträge
Horst Riesenberg-Mordeja, bei ver.di verantwortlich für Gesundheits- und Arbeitsschutz, sieht einen geeigneten Ansatz vor allem bei der Gefährdungsbeurteilung im Betrieb: "Die psychischen Belastungen müssen unbedingt erfasst und dann geeignete Maßnahmen ergriffen werden." Darauf könnten Gewerkschaften auch in Tarifverhandlungen hinarbeiten. Ein gelungenes Beispiel hierfür sei der Gesundheitstarifvertrag für Erzieherinnen und Erzieher, der im Sommer abgeschlossen wurde.
Der Vortrag von Ralf Schweer steht unter: http://www.verdi.de/sozialpolitik/arbeits-_und_gesundheitsschutz-_politik/data/schweer.pdf
Was tun?
Der Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, die Sicherheit und Gesundheit seiner Mitarbeiter zu schützen. Das setzt eine Risikobewertung des Arbeitsplatzes voraus. Hieraus ergeben sich dann präventive Maßnahmen. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) empfiehlt ein mehrstufiges Vorgehen zur Vermeidung von Rückenleiden:
Technische Schutzmaßnahmen: Die Arbeitsplätze sollen ergonomisch gut gestaltet sein - zum Beispiel durch kurze Transportwege, vibrationsgeminderte Werkzeuge und höhenverstellbare Tische, um Arbeit auch im Stehen zu ermöglichen.
Organisatorische Schutzmaßnahmen: Hier geht es vor allem darum, die Arbeitsabläufe im Betrieb gesundheitsschonend zu organisieren. Dazu zählen Betriebsanweisungen, wie Lasten zu bewegen sind, Job-Rotation für belastende Tätigkeiten und die Chance zu Bewegungspausen.
Personenbezogene Schutzmaßnahmen: Beschäftigte sind zu informieren und zu schulen.
Weitere Maßnahmen: Der Betrieb sollte Gesundheitsförderung wie Rückengymnastik und Ausgleichssport unterstützen und bei arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen auf Rückenberatung achten.
Zudem fordert die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG), psychische Faktoren bei der Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen sowie die Förderung einer "Präventionskultur". Dazu gehören gutes Führungsverhalten, regelmäßige Mitarbeitergespräche, Förderung des Vorschlagwesens, Lob und eine gute innerbetriebliche Kommunikation.
QUELLE: DGUV/VBG