Ausgabe 04/2010
Gesellschaft der Schamlosen
Mit Günter Wallraff auf Expedition in die Welt der neuen Arbeitsverhältnisse
Es war eine besondere Veranstaltung von ver.di Stuttgart mit dem bekannten Autor Günter Wallraff: Im überfüllten Großen Saal des Stuttgarter Gewerkschaftshauses fand eine Expedition in die Welt der neuen Arbeitsverhältnisse statt. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Branchen und Betrieben berichteten über die systematische Beschneidung von Arbeitnehmerrechten. Übergriffe auf Beschäftigte und die krebsartige Ausdehnung prekärer und flexibler Arbeitsverhältnisse wurden zu Sprache gebracht. Betroffene Stundenlöhnerinnen bei H&M, bei privaten Briefverteilfirmen, Leiharbeiterinnen und andere berichteten über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen. Grenzenlose Flexibilität, kritisierte die Bezirkssekretärin Christina Frank, sei der Trend im Textileinzelhandel.
Dazu sagte Günter Wallraff: "Dies sind keine Einzelfälle, sondern Strukturen, die sich breit machen." Er spricht von einem Kahlschlagkapitalismus und einer Parallelgesellschaft der Schamlosen. Angeprangert wurden auch diejenigen Rechtsanwälte, die unliebsame oder so genannte unkündbare Beschäftigte mit fragwürdigen Methoden aus den Betrieben herausmobben. Genannt wurden die Kanzleien Naujoks und Schreiner.
Beispiele wie das des UPS-Betriebsratsvorsitzenden Mahmut Gemili oder zahlreicher Kolleginnen bei Schlecker und anderen Firmen beweisen jedoch auch, dass Widerstandskraft und Durchhaltevermögen zum Erfolg führen können. Trotz vielfacher Versuche, Betriebsratsgründungen zu verhindern oder unliebsame Betriebsräte zu kündigen, haben sie dem Druck widerstanden und sind heute immer noch als Interessen-vertreter/innen ihrer Kolleginnen und Kollegen aktiv. Auch zahlreiche andere Beispiele zeigen, dass sich Beschäftigte mit Hilfe und Unterstützung ihrer Gewerkschaft erfolgreich wehren und bessere Bedingungen durchsetzen können. So hat die Veranstaltung nicht nur Missstände und existenzgefährdende Strukturen aufgezeigt, sondern auch Mut zur Gegenwehr gemacht. Die Beschäftigten müssen sich nicht ihrem Schicksal ergeben, sondern können sich erfolgreich wehren – wenn sie sich zusam-menschließen und den Druck auf die Gegenseite erhöhen.
Bezirk Stuttgart