Ausgabe 05/2010
Immer feste druff
"Hau den Lukas" durfte früher auf keinem Volksfest fehlen. Heute versuchen manche Politiker und Wissenschaftler, das Volk mit verbalen Rundumschlä-gen gegen Ausländer und Hartz-IV-Empfänger zu belustigen. Hammerschwinger wie Thilo Sarrazin oder Guido Westerwelle werden dafür vielfach kritisiert. Kaum ein Medium erregt sich dagegen über die Ausfälle des Bremer Sozialpädagogikprofessors Gunnar Heinsohn. Als Gastautor der Tageszeitungen FAZ und Welt durfte der pensionierte 66-Jährige fordern, Hartz IV für alle Nicht-Behinderten auf fünf Jahre zu befristen. Heinsohns steile These: Solange der Staat "eine Art Lebenszeitverbeamtung auf Hartz IV" anbiete, vermehre sich die Unterschicht immer stärker, "mit allen Folgeproblemen".
In den USA habe die Befristung Erfolg gehabt: "Bildungsferne Jungen, die über Gewalt nach oben streben, werden kaum noch gezeugt." Klingt fast nach der Nazi-Parole vom "unwerten Leben". Heinsohn weiter: "Ungeborene können niemandem einen Baseballschläger über den Kopf ziehen, aber sie können auch von niemandem erniedrigt oder beleidigt werden."
So einfach ist das also: Unterschichtsfrauen gebären Kinder vor allem wegen des Geldes. "Eine Frechheit", ärgert sich die Bremer Landesfrauenbeauftragte Ulrike Hauffe, einst Medizinpsychologin in der Geburtshilfe. Staatliche Unterstützung wirke nicht wie eine "Gebärpauschale", sagt Hauffe. Die Hälfte aller Geburten sei ohnehin ungeplant. Bei gesellschaftlichen Umbrüchen wie nach dem Mauerfall gebe es leicht mal "Gebärverzicht" - aber nicht unbedingt bei persönlicher Geldknappheit.
Gnädigerweise räumt der gut bezahlte Pensionär gegenüber ver.di PUBLIK ein, dass eine kleine Minderheit länger staatliche Hilfe brauche, etwa durch öffentliche Arbeit oder "beschützende Werkstätten". Alle anderen aber müssten nach fünf Jahren von Ersparnissen und Verwandtenhilfe leben, wie in drei Vierteln aller Nationen.
Äpfel und Birnen verglichen
"Da vergleicht er mal wieder Äpfel mit Birnen", kontert Hauffe. Anderswo seien Familien und Dörfer noch intakt. Aber in Deutschland - sollen da jetzt alle Arbeitslosen zurück zu ihren Eltern? Die Bremer Arbeitnehmerkammer als Vertretung aller abhängig Beschäftigten Bremens fordert inzwischen von der Universitätsleitung und der Wissenschaftssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) eine Distanzierung von Heinsohns "Hetz-Artikeln" und "Eliterassismus". Der Professor strebe "im Grunde eine bevölkerungspolitische Bereinigung an".
Die Reaktion der Universität: kein Kommentar. Denn der Pensionär, der weiterhin einen Uni-Schreibtisch nutzen darf, habe sich nur im Rahmen politischer Debatten geäußert. Auch die Senatorin will eigentlich nicht die politischen "Einschätzungen einzelner Wissenschaftler" bewerten. Aber sie sagt immerhin, Heinsohn vertrete "eine Außenseiterposition" und eine "ausschließlich private Auffassung".
Die hat ihm inzwischen mehr als 50 Strafanzeigen wegen Volksverhetzung und Beleidigung eingebracht. Doch die zentral dafür zuständige Frankfurter Staatsanwaltschaft will kein Verfahren einleiten, denn Heinsohns Äußerungen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Ist der Mann nicht ohnehin viel zu unbedeutend? Ist er leider nicht. Immer wieder beschäftigen seriöse Blätter ihn als Gastautor. Sogar in der New York Times und der linken taz schrieb er schon. Seine Lieblingsthese: Gesellschaften mit vielen jungen Männern seien die Hauptursache für Kriege, Terrorismus und Massenkriminalität. Damit zielt er vor allem auf muslimisch geprägte Länder. Die rechtsextreme DVU zitiert ihn gerne als Kronzeugen.
Heinsohn trat auch schon wiederholt als Autor und Interviewpartner in der rechtslastigen Jungen Freiheit auf. Ein Kenner aus der Universität Bremen hält ihn zwar nicht für rechtsextrem, meint aber: "Er argumentiert gerne zugespitzt. Er pickt sich Detailinformationen heraus und verallgemeinert sie." Egal, ob er damit ganze Bevölkerungskreise verunglimpft. Hauptsache: Immer feste druff! Eckhard Stengel