Der Gesetzentwurf rechtfertigt im Nachhinein die Datenskandale der vergangenen Jahre, zum Beispiel den bei der Telekom

Lothar Schröder ist im ver.di-Bundesvorstand zuständig für den Bereich Telekommunikation und Informationstechnologie. Als Mitglied des Aufsichtsrats der Deutschen Telekom ist er vor einigen Jahren vom Unternehmen ausgespäht worden. Der Prozess in dieser Sache hat Anfang September begonnen

ver.di PUBLIK | Das Bundesinnenministerium hat den Entwurf eines Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes vorgelegt. Du bist als Aufsichtsratsmitglied der Telekom von dem Unternehmen ausgespäht worden. Wie beurteilst Du aus dieser Sicht den Entwurf?

Lothar Schröder | Ich bezeichne den Entwurf als Bespitzelungsermöglichungsgesetz. Selbst wenn der Entwurf damals Gesetz gewesen wäre, hätte er für keine Abhilfe gesorgt. Er ermutigt Unternehmen dazu, genauso zu handeln, wie die Telekom es damals getan hat, allerdings könnten sie sich dann auf das Gesetz stützen. Ich denke, dass es eher dazu führen wird, dass Unternehmen noch unbefangener Mandatsträgern und Beschäftigten nachspionieren.

ver.di PUBLIK | Wie das?

Schröder | Der Bespitzelungsskandal bei der Telekom baute auf der niederträchtigen Behauptung auf, dass es in der Arbeitnehmergruppe im Aufsichtsrat eine undichte Stelle gegeben habe, über die Geheimnisse aus dem Unternehmen abgeflossen sind. Allein der Verdacht, der geäußert wurde, würde nach dem jetzigen Gesetzentwurf dazu ausreichen, dass Unternehmen den E-Mail-Verkehr von Mitarbeiter/innen scannen oder dienstliche Telefonanschlüsse auf Kontakte zu Journalisten hin überprüfen können. Der Gesetzentwurf ist eine nachträgliche Rechtfertigung für das, was bei der Telekom passiert ist.

ver.di PUBLIK | Wie regelt der Entwurf den Einfluss von Betriebs- und Personalräten?

Schröder | Er schränkt den Einfluss eher ein. Der Gesetzentwurf bringt an vielen Stellen zum Ausdruck, dass das Kontrollinteresse des Betriebes zu befriedigen ist und dass man darüber die Persönlichkeitsrechte nicht unverhältnismäßig berühren soll. Aber wie die Abwägung der Verhältnismäßigkeit erfolgen soll, darüber lässt sich der Gesetzentwurf nicht aus. Er überlässt diese Entscheidung im Grunde einzelnen Arbeitgebern. Betriebsräte sind dann eher außen vor. Der Entwurf schafft keine zusätzlichen Sanktionsmöglichkeiten. Die Verletzung der Persönlichkeitsrechte bleibt ein Kavaliersdelikt. Er schafft keine Immunitätsrechte für Betriebsräte. Man kann an diesem Gesetzentwurf Betriebsräte in ihrer Aufgabenwahrnehmung bespitzeln wie andere Beschäftigte auch.

ver.di PUBLIK | Welche Konsequenzen wurden bei der Telekom aus der Bespitzelung gezogen?

Schröder | Es gab viel mehr Sensibilität für Datenschutzfragen und einen Umbau innerhalb der Telekom. Eine Festlegung, die wir gemeinsam mit dem Arbeitgeber getroffen haben, ist eine besondere Immunitätsregelung, die eine Untersuchung gegenüber Mandatsträgern nur zulässig macht, wenn die Präsidien der jeweiligen Gremien beteiligt wurden. Den Unternehmen kann man ja nicht gänzlich den Anspruch nehmen, etwas untersuchen zu wollen. Wenn es zum Beispiel Insidergeschäfte gibt, muss ein Unternehmen untersuchen können, wann eine Information rausgegangen ist und wer sie gekriegt hat. Das verstehe ich alles. Was ich nicht verstehe, ist, dass man gesetzliche Bestimmungen schaffen will, wonach man allein einen Verdacht äußern kann und darauf ein ganzes Vorgehen stützt, auch gegenüber Mandatsträgern. Das wäre nach dem neuen Gesetzentwurf zulässig. Das ist der eigentliche Skandal. Die Telekom handelt heute sensibler als es der Gesetzentwurf von anderen Firmen in Deutschland verlangt.

ver.di PUBLIK | Der Telekomprozess hat am 3. September begonnen. Zuvor hat das Landgericht Bonn die Nebenklage abgewiesen. Das bedeutet, dass ihr als Betroffene oder eure Vertreter im Verfahren keine Fragen stellen könnt. Wie beurteilst Du diese Entscheidung nach allem, was passiert ist?

Schröder | Als juristischer Laie fehlen mir die Worte. Ich finde es unglaublich, dass wir zweieinhalb Jahre darauf warten mussten, dass es überhaupt zum Prozess kommt. Während dieser Zeit hat sich die Staatsanwaltschaft kaum für unsere Einlassungen interessiert. Sie hat nur einen von uns angehört. Jetzt findet der Gerichtstermin statt, und das Gericht lässt uns nicht als Aktive daran teilhaben. So kann man mit Menschen, deren Persönlichkeitsrechte verletzt worden sind, nicht umgehen.

ver.di PUBLIK | Wie ist Dein Eindruck nach dem ersten Verhandlungstag: Kann der Prozess dazu beitragen, dass die Vorgänge aufgeklärt werden?

Schröder | Der erste Prozesstag gibt Hoffnung. Ein Hauptbeschuldigter, der bisher geschwiegen hat, hat im Prozess angefangen zu reden. Ich hoffe, dass die Aufklärung weitergeht. Ich muss nach zweieinhalb Jahren sagen, dass die meisten unserer Fragen unbeantwortet sind. Wir nehmen wohl war, dass das Unternehmen versucht, die Fehler von damals zu beseitigen. Es hat sich in Datenschutzfragen gewaltig geändert. Es hat sich bei den Betroffenen entschuldigt. Aber die Zusammenhänge des damaligen Datenschutzskandals sind noch weitgehend ungeklärt. Wer hat was veranlasst? Was war der eigentliche Grund? Warum diese Mandatsträger? Was glaubte man, damit zu gewinnen? Wieso glaubte man, die Mitbestimmungsfrage schwächen zu können? Diese Fragen sind bis heute unbeantwortet. Da hoffe ich auf Aufklärung im laufenden Prozess.

Interview: Heike Langenberg

https://mitgliedernetz.verdi.de

Die Telekom handelt heute sensibler als es der Gesetzentwurf von anderen Firmen in Deutschland verlangt