War die Kanzlerin nur schlecht informiert? Oder wurde die Öffentlichkeit gar Zeugin eines Aktes politischer Selbstkritik? Wie auch immer: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Anfang September angesichts von mehr als 2,2 Millionen Hartz-IV-Empfänger/innen mit Problemen bei der Jobsuche via Bild verkünden lassen, sie sehe nicht ein, dass Pflegekräfte künftig nur noch aus Osteuropa kommen sollten. "Daran können wir etwas ändern", hatte die Bundeskanzlerin betont.

Was dies anbelangt, muss Merkel nur etwas an der eigenen Politik ändern. Erst Anfang Juli hatte die Bundesregierung beschlossen, die drei Jahre geförderte Umschulung von Arbeitslosen zu Alten- und Krankenpfleger/innen durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) zum 31. Dezember auslaufen zu lassen. Ab 2011 werden nur noch zwei Jahre durch die BA finanziert, die restliche Zeit bis zum Examen müssen fortan die Arbeitgeber überbrücken. Eine Entscheidung übrigens gegen die Empfehlungen der Gewerkschaften, der Berufs- und So-zialverbände, der Oppositionsparteien sowie des Bundesrates. "Wer sonntags fordert, dass mehr Pflegekräfte aus dem eigenen Land kommen sollten, darf nicht werktags die Mittel für die Ausbildung streichen", sagt ver.di-Bundesvorstandsmitglied Ellen Paschke.

Hohe Abschlussquote

Die Statistiken der BA weisen die Umschulungsmaßnahmen als erfolgreich aus: Allein im vergangenen Jahr hatten 14200 Menschen die von der Arbeitsagentur geförderte Ausbildung zur Altenpflegerin absolviert, über die Hälfte davon aus "Hartz IV" kommend. Die hohe Abschlussquote führt Gabriele Feld-Fritz, bei ver.di zuständig für den Bereich Pflege, auf die guten Chancen zurück, anschließend eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu finden.

Hintergrund der Debatte ist ein eklatanter Fachkräftemangel, den die Pflegebranche auf sich zukommen sieht. Derzeit sind in der Altenpflege etwa 800000 Menschen beschäftigt, aber die werden künftig nicht ausreichen. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird bis 2030 etwa um ein Drittel auf 3,3 Millionen zunehmen. In manchen Regionen, zum Beispiel in Bayern, fehlen heute schon Pflegekräfte. Der Arbeitgeberverband Pflege hat daher eine Greencard für Pflegekräfte aus Nicht-EU-Staaten gefordert. Eine Forderung, die ver.di für "abwegig" hält, da sie das Lohndumping in der ohnehin schlecht bezahlten Branche fördert, Zuwanderer ausbeutet und einheimischen Kräften den Zugang zum Arbeitsmarkt unmöglich macht.

Ohnehin gilt ab 2011 auch in Deutschland die in der übrigen EU bereits jetzt schon uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit. Um das erwartete Lohndumping durch billigere Pflegekräfte zumindest abzufedern, wurde daher zum 1. August dieses Jahres ein Mindestlohn in der Branche vereinbart. Nun müssen Arbeitgeber in der Pflege im Westen mindestens 8,50 Euro und im Osten Deutschlands mindestens 7,50 Euro pro Stunde zahlen. "Ohne den vereinbarten Mindestlohn in der Pflege hätte die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU negative Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt, die nur schwer bezifferbar sind", sagt Gabriele Feld-Fritz.

Michael Musall von ver.di-Berlin-Brandenburg glaubt, dass Merkel bei ihrem Bild-Interview ohnehin nicht auf examinierte Kräfte abzielte. "Der Bundesregierung geht es eher darum, aus dem Heer der Erwerbslosen ungelernte Kräfte in die ambulante Pflege zu drücken." Dort nämlich sei - so die Regierung - eine Fachausbildung nicht vonnöten. Mehr als der Mindestlohn wird dann allerdings auch nicht verdient. Uta von Schrenk