Bundesweite Aktionen

Gerecht geht anders - und das bundesweit. In zahlreichen Orten quer durch die Republik demonstrierten Gewerkschafter/innen in den vergangenen Wochen gegen die unsoziale Politik der Bundesregierung: gegen Rente mit 67, gegen sozialen Kahlschlag und für die Einführung eines Mindestlohns - so wie hier Beschäftigte der Deutschen Post AG vor dem Posttower in Bonn. Mehr Informationen zu den verschiedenen Aktion unter www.gerecht-geht-anders.de

Jährlich müssen die Steuerzahler/innen viel Geld aufbringen, weil Unternehmen Löhne und Gehälter bezahlen, die zum Leben nicht reichen. Die Bundesregierung verweigert den gesetzlichen Mindestlohn aber immer noch

von Heike Langenberg

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) macht aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber Mindestlöhnen keinen Hehl. "Um Deutschland wettbewerbsfähig zu machen, brauchen wir keinen Mindestlohn. Abhilfe schafft nur ein langfristiger Strukturwandel wie die Senkung von Steuern, ein Abbau von Bürokratie und eine Flexibilisierung des gesamten Arbeitsmarktes", schreibt der Politiker auf seiner Website im Internet. Selbst tarifliche Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz blockiert Brüderle so lange er nur kann. Das haben die Beschäftigten in der Abfallwirtschaft und der Pflegebranche zu spüren bekommen. Hier verzögerte der Minister die Einführung der Lohnuntergrenzen. Mittlerweile gelten sie jedoch, insgesamt profitieren rund 930000 Beschäftigte beider Branchen von den Mindestlöhnen.

Spürbare Auswirkungen

Wie spürbar die Auswirkungen der Lohnuntergrenze sind, zeigt sich am Beispiel Post. Zum 1. Januar 2008 ist ein zwischen dem Arbeitgeberverband Postdienstleistungen und ver.di abgeschlossener Tarifvertrag auf Basis des Arbeitnehmerentsendegesetzes für allgemeinverbindlich erklärt worden. Damit hatten die 175000 Beschäftigten der Branche Anspruch auf mindestens 8,00 Euro (Ost) beziehungsweise 9,80 Euro (West) pro Stunde. Ende Januar 2010 kippte das Bundesverwaltungsgericht die Richtlinie wegen eines Formfehlers, zum 30. April 2010 ist sie ausgelaufen. Eine Einigung auf eine Fortsetzungsregelung wird von kleineren Arbeitgeberverbänden blockiert.

ver.di hat die Beratungsgesellschaft Input Consulting untersuchen lassen, wie sich der Postmindestlohn trotz seiner kurzen Dauer ausgewirkt hat. Arbeitsplätze habe er nicht gekostet. Insgesamt sei das Lohnniveau der Branche nach oben gegangen, sagt Claus Zanker, der die Studie erstellt hat. Zwar hätten nicht alle Unternehmen die festgelegten Löhne gezahlt, viele dieser Firmen hätten versucht, den Mindestlohn mit eigenen Tarifverträgen zu umgehen. Diese hätten dann nicht immer das Mindestlohnniveau erreicht, aber dennoch zu kräftigen Lohnsteigerungen geführt. Als Beispiel nannte er durchschnittlich 11,8 Prozent für Briefzusteller/innen in den neuen Bundesländern. Durch die erhöhte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Kunden sei "das fortschreitende Drehen an einer nach unten gerichteten Lohnspirale nicht mehr möglich" gewesen, so Zanker.

Mittlerweile hat sich die Entwicklung wieder umgekehrt, einige private Zustelldienste haben ihre Löhne wieder abgesenkt. TNT zahlt zum Beispiel Briefzusteller/innen nach langjähriger Betriebszugehörigkeit nach einer Selbstauskunft bei der Bundesnetzagentur zwischen 6,75 und 7,97 Euro. Damit hat TNT gegenüber der Deutschen Post niedrigere Lohnkosten von bis zu 50 Prozent, rechnet die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis vor. Andere, meist kleine Zustellunternehmen, unterbieten auch diese Marke noch deutlich.

Gewerkschaftliche Forderung

Dumpinglöhne haben Folgen. 1,325 Millionen Aufstocker/innen meldete die Bundesagentur für Arbeit offiziell für 2009, die Kosten dafür bezifferte das Bundesarbeitsministerium auf 11 Milliarden Euro. Geld, das die Steuerzahler/innen aufbringen müssen. Hinzu kommt, dass sich der Niedriglohnsektor in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren erheblich ausgeweitet hat. 2008 arbeiteten 5,83 Millionen Menschen für Löhne unter 8,50 Euro pro Stunde, hat das Institut Arbeit und Qualifikation ermittelt. Sie alle würden profitieren, wenn die gewerkschaftliche Forderung nach einem allgemeinen, gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde endlich umgesetzt würde.

Ein weiteres wichtiges Argument für einen gesetzlichen Mindestlohn ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die vom 1. Mai 2011 an in Deutschland gilt. Dann können auch Arbeitskräfte aus den osteuropäischen EU-Ländern hier ihre Arbeit anbieten und selbst die in Deutschland gezahlten Niedriglöhne unterbieten und damit noch weiter drücken. Das führt dazu, dass sich selbst einige Arbeitgeberverbände für Mindestlöhne stark machen. In Gesprächen mit den Gewerkschaften hat Bundeswirtschaftminister Brüderle durchblicken lassen, dass er der Aufnahme neuer Branchen in das Entsendegesetz nur zustimmen werde, wenn dafür andere Branchen wieder aus dem Geltungsbereich des Gesetzes genommen werden.

Tarifliche Mindestlöhne

nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz im ver.di-Organisationsbereich*

Abfallwirtschaft: 130000 Beschäftigte, 8,24 Euro

Pflege: 800000 Beschäftigte, 8,50 Euro (West) / 7,50 Euro (Ost)

weitere Mindestlöhne gelten im Bauhauptgewerbe, bei Bergbauspezialarbeiten, bei Wäschereidienstleistungen, im Objektkundengeschäft, im Dachdecker-, Elektro-, Gebäudereiniger- sowie dem Maler- und Lackiererhandwerk Quelle: WSI-Tarifarchiv

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Gerecht geht anders - und das bundesweit. In zahlreichen Orten quer durch die Republik demonstrierten Gewerkschafter/innen in den vergangenen Wochen gegen die unsoziale Politik der Bundesregierung: gegen Rente mit 67, gegen sozialen Kahlschlag und für die Einführung eines Mindestlohns - so wie hier Beschäftigte der Deutschen Post AG vor dem Posttower in Bonn. Mehr Informationen zu den verschiedenen Aktion unter www.gerecht-geht-anders.de

Tarifliche Mindestlöhne

nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz im ver.di-Organisationsbereich*

Abfallwirtschaft: 130000 Beschäftigte, 8,24 Euro

Pflege: 800000 Beschäftigte, 8,50 Euro (West) / 7,50 Euro (Ost)

weitere Mindestlöhne gelten im Bauhauptgewerbe, bei Bergbauspezialarbeiten, bei Wäschereidienstleistungen, im Objektkundengeschäft, im Dachdecker-, Elektro-, Gebäudereiniger- sowie dem Maler- und Lackiererhandwerk Quelle: WSI-Tarifarchiv