Auch wenn man nach einem Unfall nicht dauernd auf den Rollstuhl angewiesen ist, kann Berufsunfähigkeit drohen. Dann ist Vorsorge lebensnotwendig

Von Karin Flothmann

"Mich beruhigt es, dass ich vor elf Jahren eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen habe." Julia Hermann* ist Krankenpflegerin. Eine Familie versorgt die 42-Jährige nicht. "Die Versicherung habe ich abgeschlossen, weil ich abgesichert sein möchte, wenn ich in meinem Beruf mal nicht mehr kann", sagt sie. Immerhin ist ihre Arbeit körperlich sehr anstrengend.

"Viele Menschen glauben, dass die gesetzliche Rentenversicherung einspringt, wenn sie berufsunfähig werden", erklärt Lucie Pötter-Brandt von der Gesamtschwerbehindertenvertretung der Stadt Wolfsburg. Doch das stimmt längst nicht mehr. Seit der Rentenreform, die Anfang 2001 in Kraft trat, haben Arbeitnehmer/innen, die berufsunfähig werden, nur noch Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Deren Höhe unterscheidet sich deutlich von der früheren Berufsunfähigkeitsrente. Die Begriffe Berufs- und Erwerbsunfähigkeit sind vollständig entfallen und damit auch der bisherige Berufsschutz, der für Berufe gewährt wurde, die eine vorgeschriebene Ausbildung erfordern. Ungelernte hatten keinen Berufsschutz.

"Ich empfehle unseren Mitarbeitern bei der Stadt daher, eine private Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen", sagt Pötter-Brandt. Vor allem den jungen Leuten und Berufsanfänger/innen legt sie das ans Herz. "Denn was sie nach einem vorzeitigen beruflichen Aus ohne private Vorsorge noch bekommen würden, ist brutal wenig!"

Eine gesetzliche Ausnahme ist lediglich die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Diese Sonderregelung gilt allerdings nur für jene, die vor 1961 geboren wurden. Sie genießen noch den alten Berufsschutz. Allerdings bekommen sie nicht wie früher zwei Drittel ihrer vollen Rente, sondern nur noch die Hälfte.

Was man sich leisten kann

Nach 1961 Geborene haben bei Berufsunfähigkeit nur noch gesetzlichen Anspruch auf eine niedrige "Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit". Gabriele Kaul* musste diese Erfahrung machen. Die freiberufliche Journalistin hatte sich in ihren ersten Berufsjahren versicherungstechnisch beraten lassen und war zu dem Schluss gekommen: "Eine Berufsunfähigkeitsversicherung kann ich mir nicht leisten."

"Ein Jahr später hatte ich dann die Diagnose Brustkrebs", erzählt Kaul heute. Das war vor 16 Jahren. Seither lebt die 49-Jährige von monatlich 650 Euro Erwerbsminderungsrente. Das reicht nicht zum Leben inklusive Miete und aller anderen Kosten. Ab und zu, je nach gesundheitlicher Verfassung, arbeitet Gabriele Kaul daher weiterhin als freie Journalistin.

Heute ist bereits jeder vierte Erwerbsfähige nicht mehr in der Lage, seinen Beruf auszuüben. Die Ursachen sind in der Regel Krebs-, Herz- oder Kreislauferkrankungen und immer häufiger psychische Probleme, hervorgerufen durch den Alltagsstress im Beruf. Auch jungen Menschen droht immer öfter das Ende im Beruf. Rund 30 Prozent all jener, die heute berufsunfähig sind, sind unter 45 Jahre alt.

Die Versicherungen haben sich darauf eingestellt. Inzwischen bieten sie auch Berufsunfähigkeitstarife für Studenten und Auszubildende an. Manche versichern sogar Hausfrauen und -männer gegen Berufsunfähigkeit. Dabei gilt: Je früher eine solche Versicherung abgeschlossen wird, desto moderater fallen ihre Beiträge aus. Nicht nur Krankenvorgeschichte und aktueller Gesundheitszustand sind ausschlaggebend für die Höhe dieser Beiträge, sondern auch Alter, Vertragslaufzeit und vereinbarte Rentenhöhe. "Wer sich mit Mitte 30 für eine Berufsunfähigkeitsversicherung in Höhe von rund 1000 Euro Rente entscheidet, muss mit Monatsbeiträgen in Höhe von 60 bis 70 Euro rechnen", erklärt Bernd Hubatschek. Der Unternehmensberater berät Menschen mit künstlerischen Berufen, unter anderem auch in Versicherungsangelegenheiten.

Wie ein Vertrag aussehen soll

Versicherungsverträge sind in Ordnung, wenn sie in ihren Bedingungen festschreiben, dass die "vollständige Berufsunfähigkeit" dann vorliegt, "wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich für die Dauer von mindestens sechs Monaten außerstande ist, seinen Beruf auszuüben". Vor allem in alten Versicherungsverträgen finden sich oft weitaus ungünstigere Bedingungen: Dort wird dann auf einen "voraussichtlich dauerhaften" Zeitraum Bezug genommen, im Klartext: Der Arzt muss wenigsten drei Jahre Berufsunfähigkeit attestieren, bevor die Versicherung zahlt.

Gute Verträge weisen sich laut Empfehlungen der Zeitschrift Finanztest außerdem dadurch aus, dass sie auf die so genannte abstrakte Verweisungsklausel verzichten. Wenn diese Klausel gilt, tritt eine vollständige Berufsunfähigkeit erst dann ein, wenn der Versicherte auch keine andere Tätigkeit mehr übernehmen kann, "die er auf Grund seiner Ausbildung und Erfahrung ausüben kann und die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht". Das bedeutet, dass der Versicherungsgeber die Leistung ablehnen kann, wenn der Versicherte auf einen anderen ausbildungsadäquaten Beruf verwiesen werden kann, der seiner "bisherigen Lebensstellung" entspricht. Diese Lebensstellung ist in der Rechtsprechung oft auch dann schon gewahrt, wenn das neue Einkommen 20 Prozent niedriger ist als zuvor. Ein Chirurg könnte so nach dem Verlust eines Fingers noch Sprechstunden abhalten oder als ärztlicher Berater arbeiten. Das Risiko, einen solchen Job nicht zu finden, liegt bei dem Chirurgen selbst, wenn die Verweisungsklausel gilt.

Für sich persönlich hat Berater Hubatschek schon vor 14 Jahren eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. "Damals habe ich einen Kredit für eine Immobilie aufgenommen. Da war mir klar: Wenn mir jetzt was passiert, ich meine Arbeit nicht mehr leisten und den Kredit nicht abzahlen kann, wird die Bank mein Haus zwangsversteigern. Darauf wollte ich es nicht ankommen lassen."

*Namen geändert