Ausgabe 11/2010
Wir sind ein Einwanderungsland
Können und Leistungsbereitschaft fördern - im Sport klappt das
Wenn es um Integration geht, engt sich die Debatte sehr schnell auf Muslime ein, auf kulturelle Unterschiede, auf den Anspruch der "deutschen Leitkultur". Politiker wie der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch, CDU, oder aktuell der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, CSU, versuchen, im Trüben der Vorurteile zu fischen. "Dann reduziert sich alles auf Kopftuch, Döner und Moschee", sagt Doris Batke vom hessischen ver.di Bildungswerk. Dem wollte das Bildungswerk etwas entgegensetzen und startete Anfang Oktober die 1. Interkulturelle Woche. Motto: "Zusammenhalten - Zukunft gewinnen". Kooperationspartner des ver.di Bildungswerks waren die Volkshochschule Hochtaunus, die Vokshochschule Bad Homburg, das Bildungszentrum der IG BAU und der Sportkreis Hochtaunus. Auch das hessische Kultusministerium steuerte Mittel zu der Veranstaltung bei.
Mit rund 270 Teilnehmern war das Interesse beachtlich. In vier Veranstaltungen hatte man sich zum Ziel gesetzt, die Hemmnisse für Integration zu hinterfragen. Der Grundgedanke der interkulturellen Woche war, so Batke, "auf soziale Fragen nicht mit ethnischen Zuschreibungen und Ressentiments zu reagieren". Dass man mit dieser Einschätzung richtig liegt, zeigen nach Auffassung der Veranstalter auch Umfragen, wonach in der Bevölkerung - unabhängig vom Migrationshintergrund und unabhängig von der medialen Darstellung - die Situation der Einwanderungsgesellschaft Bundesrepublik eher unaufgeregt eingeschätzt wird.
Ohne Bildung läuft's nicht
Bereits in der Eröffnungsveranstaltung in Oberursel mit Rita Süßmuth, Präsidentin des Deutschen Volkshochschulverbandes, standen die Schwerpunkte einer gelingenden Integration im Mittelpunkt: Bildung und Arbeit. Dabei macht es keinen Sinn, Probleme zu verschweigen. Besonders türkische Frauen der ersten Einwanderergeneration schneiden in puncto Schulbildung schlecht ab. Die Situation bessert sich deutlich bei den hierzulande Geborenen. Die zum Teil massiven Probleme von Zuwanderern bei Bildung, aber auch auf dem Arbeitsmarkt haben wenig mit kulturellen Unterschieden zu tun, sondern haben soziale Ursachen.
Das Plädoyer aus der interkulturellen Woche lautet daher: Es kommt die Gesellschaft teuer zu stehen, wenn an Bildung geknausert wird. Denn ohne Bildung kann Integration nicht funktionieren. Das gilt für alle, für Deutsche wie für Migranten. Die Bundesrepublik, so Süßmuth, ist eine Einwanderungsgesellschaft und eine multikulturelle Gesellschaft. "Wir haben diese Tatsache lange nicht anerkannt und dürfen gerade deshalb keine rückwärtsgewandten Diskussionen um vermeintliche Integrationsverweigerer führen. Man kann nichts Schädlicheres tun, als bestimmte Migrantengruppen zu diffamieren und für die Zukunft auszugrenzen", sagte sie und warb für eine Doppelstrategie, nämlich eine gesteuerte Zuwanderung nach Berufsqualifikation und Sprachkenntnissen und vermehrte Anstrengungen zur Integration der hier lebenden benachteiligten Menschen - mit und ohne Migrationshintergrund.
Gemeinsam Sport treiben
Das Thema Sport ist in solchen Zusammenhängen besonders wichtig. Sport integriert - das scheint unbestritten und war auch Thema einer Veranstaltung der Interkulturellen Woche. Walter Lochmann, der das Projekt koordinierte, betont, dass gerade der Bildungsbereich vom Sport lernen kann, weil es bei ihm besonders darum gehe, "Können und Leistungsbereitschaft zu fördern". Im Sport spiegeln sich nach Lochmanns Auffassung die gesellschaftlichen Probleme. Er wünscht sich, dass mehr Menschen mit Migrationshintergrund auch in führenden Funktionen der Vereine tätig werden. Und deshalb werde es weiterhin Interkulturelle Wochen geben, damit Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenfinden und eine gemeinsame Zukunft gewinnen. reb