Zum Pendeln verdonnert: Beschäftigte protestieren in Frankfurt/M.

Von Renate Bastian

Mitte Dezember wird sich zeigen, wie es um die Verhandlungsbereitschaft des Telekom-Vorstands bestellt ist. Er sei zurzeit "aufgeweckt und aufgeschreckt" über den massiven Widerstand der Beschäftigten gegen die geplanten Standortschießungen. Das sagte Brigitte Reinelt, Fachbereichsleiterin in Hessen, auf einer Betriebsversammlung mit 500 Beschäftigten der Region Mitte am 17. November in Frankfurt. Sechs hessische Städte - Kassel, Fulda, Gießen, Hanau, Wiesbaden und Darmstadt - wären von den Standortschließungen betroffen. 500 Hessinnen und Hessen müssten, wenn die Zentralisierung durchgesetzt würde, täglich weit zu ihrem Arbeitsplatz pendeln. Eine einfache Fahrt von Kassel nach Frankfurt dauert anderthalb Stunden und mehr - von Bahnhof zu Bahnhof und ohne die restlichen Wegezeiten. Für Fulda sieht es ähnlich aus. Dazu kämen natürlich die Fahrtkosten.

Keine Zeit für die Familie

Katja Semmler, 47 Jahre alt, Vollzeitkraft, wohnt mit ihrem 12-jährigen Sohn im Vogelsberg und pendelt schon jetzt. Nach Gießen. Der Weg nach Frankfurt würde die dreifache Zeit beanspruchen. Sie müsste morgens um 5 Uhr von zu Hause weg und käme nicht vor 18 Uhr zurück. Schon jetzt muss sie zwei Stunden am Tag für den Sohn überbrücken. Und auch um ihre Mutter muss sie sich kümmern. Katja Semmler, die seit 30 Jahren im Unternehmen arbeitet und versucht hat, alle Veränderungen mitzutragen, findet die aktuelle Situation "ganz und gar nicht mehr witzig". Als Hauptbetroffene sieht sie Frauen, die neben dem Beruf noch anderes zu regeln haben. Die Familienzeit schwindet, die Kinder bleiben außen vor. Dramatisch ist die Situation auch deshalb, weil sie beruflich keine Alternativen sieht. "Ich bin ans Unternehmen gefesselt", sagt sie. Den Beschäftigten, die aus Biedenkopf oder aus dem Hinterland von Marburg bisher nach Gießen pendeln, geht es nicht besser.

Da liegt der Gedanke nahe, der Vorstand der Telekom wolle mit seiner Strategie Beschäftigte durch die Hintertür loswerden. Brigitte Reinelt sieht hier ein "strategisches Großprojekt, um Beschäftigte aus dem Unternehmen zu drängen. Das ist perfide." Es geht schon lange nicht mehr nur um Einzelfälle. Das weiß die Gewerkschafterin nach den Erfahrungen der jüngsten Zeit. Bei der Zentralisierung des Kundenservices (DTKS) sind vom Standort Gießen nur ein Bruchteil der Beschäftigten mit nach Eschborn bei Frankfurt gegangen, die gleiche Bilanz ergab sich bei der Schließung des Standorts in Kassel, als nach Fulda "umgezogen" werden musste. Unsozial, familienfeindlich, frauenfeindlich - so lautet ihr Urteil. Und ausbildungsfeindlich. Denn wenn Standorte wegfallen, kann in diesen Städten auch nicht mehr ausgebildet werden. Deshalb haben sich an einer aktiven Mittagspause Anfang November in Kassel auch die Auszubildenden beteiligt.

Die Pläne zur Zentralisierung beziehen sich aktuell auf den Vertrieb und Service Deutschland (VSD). Der Vorstand der Telekom gibt betriebswirtschaftliche Gründe und notwendige Sparmaßnahmen an. Die Betriebsratsvorsitzende von VSD Region Mitte, Ute Schneider, bestreitet aber genau den unternehmerischen Sinn dieser Pläne. Sie befürchtet starke Auswirkungen auf den mittelständischen Geschäftsbereich. Ein Rückzug aus der Fläche würde einen großen Vorteil der Telekom kappen: die Kundennähe. Ein verantwortlicher, guter Kundenberater muss die regionalen Bedingungen kennen und ein Vertrauensverhältnis aufbauen. "Das geht nicht mit einem Laptop vom Küchentisch aus." So könnten sich kurzfristige Einsparungen längerfristig in erhebliche Verluste umwandeln. Das Gebot der Stunde sei es daher, den Geschäftskunden konvergente Produkte aus Festnetz, Mobilfunk, IT und besten Serviceleistungen in der Region zu liefern.

Wach bleiben!

Damit das Management der Telekom weiter wach bleibt, der "Schrecken" nicht nachlässt und die Verhandlungsbereitschaft wächst, sind bis Dezember weitere Aktionen geplant. Es war ein Erfolg, die regionalen Politiker anzusprechen. So haben die Gießener Oberbürgermeisterin und die Landrätin Anfang November zugesagt, sich für den Erhalt der Arbeitsplätze bei der Telekom einzusetzen. Und die Landesregierung wird auch noch aufgefordert.

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