Berliner Busfahrer beim Deeskalationstraining

Von Uta von Schrenk

BERLIN | "Was hätten Sie denn gern?" Wer bei Axel Schröder vom Gesamtpersonalrat der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) anruft, um etwas über die Gefährdung von Busfahrer/innen oder U-Bahn-Kontrolleur/innen in Berlin zu erfahren, wird aus der Statistik bedient, als handele es sich hier um eine Fleischtheke: Nasenbruch in Lankwitz, Stichverletzung der Brust in Friedrichshain, Blendung per Laserpointer in Britz, Schlag gegen den Hals in Treptow. Aus der Statistik ist auch ersichtlich, dass die Brutalität der Überfälle zunimmt. Allein 96 Fälle von schwerer Körperverletzung sind unter dem Zeitraum Januar bis September 2010 gelistet. Platzwunden, Hämatome, Brüche.

Angesichts von fast 5000 tätlichen Übergriffen zwischen 2001 und 2009 auf die Kolleg/innen im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) Berlins, zu denen in diesem Jahr noch einmal rund 600 Angriffe dazu kommen werden, hat man sich bei der BVG einen sarkastischen Ton zugelegt. "Wer hilft uns denn?", fragt Personalrat Schröder resigniert. "In der Politik ruht still der See." Zwar hat der Berliner Senat im vergangenen Jahr einen Runden Tisch zu der Problematik einberufen - der jedoch tagte ergebnislos.

Worauf Schröder jedoch vor allem anspielt, ist eine Petition mit 37000 Unterschriften, die Jens Gröger, Landesfachbereichsleiter Verkehr bei ver.di Berlin-Brandenburg, vor gut einem Jahr dem Deutschen Bundestag überreicht hat. Beim Überreichen blieb es. Bis heute haben sich die Abgeordneten nicht mit der Bitte der Betroffenen befasst, tätliche Angriffe auf Fahrer/innen, andere Beschäftigte und auch Fahrgäste in Bussen, Straßen- oder U-Bahnen doch nicht als Bagatelldelikt, sondern per Gesetz als das zu werten, was sie sind: ein Straftatbestand. Bis letztes Jahr etwa galten in Köln solche Übergriffe als "Arbeitsunfall mit Beteiligung von Dritten".

Bei der BVG indes bekommt man bei aller Mühe die Gefahr nicht in den Griff. Zwar hat das Unternehmen seine Busse wegen der erdrückenden Anzahl von statistisch fast zwei Übergriffen pro Tag mit so genannten "Hinterohrscheiben" ausgerüstet, doch die schützen den Fahrer auch nur bedingt vor Schlägen von hinten oder der Seite. Eine abgeschlossene Kabine, wie sie im Straßenbahnverkehr für die relativ geringe Anzahl von nur fünf Prozent Übergriffen sorgt, ist im Busverkehr schlicht technisch nicht möglich: Die Plexiglasscheiben sorgen für gefährliche Spiegelungen und irritieren so die Fahrer/innen.

Politik unternimmt nichts

"Von der Politik sind wir reichlich enttäuscht", sagt denn auch Jens Gröger von ver.di, und: "Wem aus 50 Zentimeter Entfernung mit einer Schreckschusspistole ins Auge geschossen wurde, der steigt so schnell nicht wieder in einen Bus - solch ein Erlebnis prägt fürs Leben. Da kann es nicht sein, dass die Politik das Thema mit Nichtachtung behandelt".

Die BVG hat sich zur Betreuung der Gewaltopfer nun Hilfe geholt. In einem Pilotprojekt werden Psychologen die Betreuung übernehmen - die betriebseigene Psychologin stößt ob der Vielzahl der verängstigten Kollegen an ihre Grenzen. "Doch letztlich behandeln wir nur die Symptome", sagt Personalrat Schröder. "Mit Prävention hat das nichts zu tun." Entsprechend hoch sei die Unzufriedenheit: "Die Kollegen fühlen sich im Stich gelassen."

Politisch betrachtet, stehen die Chancen schlecht für die ÖPNVler: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte einen weiteren Vorstoß abgelehnt, die Lage zu verbessern, indem der Polizei erlaubt wird, bei tätlichen Übergriffen selbstständig Ermittlungen aufzunehmen. Dies wird in der Schweiz seit 2007 erfolgreich praktiziert. Hierzulande bleiben viele Vorfälle ungeahndet. Die Bänder der Videokameras, mit denen die Berliner Busse ausgerüstet sind, werden nach 24 Stunden gelöscht. "Steht ein Kollege aber unter Schock und meldet den Übergriff erst einen Tag später, was häufiger vorkommt", sagt Schröder, "ist die Polizei meist hilflos."