Ausgabe 03/2011
Da stand der Name da
Alfred Goecke ist einer von vieren, die vor zehn Jahren ver.di den Namen gaben. Damals war er Betriebsratsvorsitzender der Volksbank Bochum/Witten und ist es heute noch
Im Regal stehen ver.di-Tassen, auf einem Perückenkopf sitzt eine angestaubte Schirmmütze der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG). Im Betriebsratsbüro von Alfred Goecke deutet kaum mehr darauf hin, dass er einer der Menschen ist, die ver.di ihren Namen gegeben haben. Als die neue Gewerkschaft vor zehn Jahren gegründet worden ist, haben Petra Wille, Gerhard Elsner, Roberto Alcaide Ramon und eben Alfred Goecke bei einem unter allen Mitgliedern ausgeschriebenen Wettbewerb diesen Namen vorgeschlagen.
Für ihn lag er auf der Hand, erinnert sich Goecke, damals wie heute Betriebsratsvorsitzender der Volksbank Bochum/Witten. "Dienstleistungsgewerkschaft" sollte darin vorkommen, damit klar ist, was die Gewerkschaften verbindet. "Vereinigt" passte zu der Idee vom Zusammenschluss von fünf Organisationen. Schnell stand "verdi" auf seinem Block - sein Vorschlag. Naheliegend findet er die Idee noch heute. Er wundert sich, dass nicht mehr als vier Leute darauf gekommen sind.
Eingebracht hat der Vorschlag ihm und den anderen einen Platz in der ersten Reihe beim ver.di-Gründungskongress im Jahr 2001 in Berlin und einen Reisegutschein im Wert von 1000 Mark. Den nutzte er für eine Reise in die Türkei mit seiner Frau. Als Alfred Goecke den Namen bei der Gründungsveranstaltung groß im Logo und mit Punkt zwischen dem "r" und dem "d" an der Wand sah, war er schon "ein bisschen stolz" auf seine Idee - und ist es heute noch.
Ebenso naheliegend wie die Idee des Namens war für Alfred Goecke der Zusammenschluss der Gewerkschaften. 1988 war er als damals 31-Jähriger in die Gewerkschaft HBV eingetreten, eine der ver.di-Vorläuferorganisationen. "Der Gedanke, sich gewerkschaftlich zu organisieren, musste langsam reifen", sagt der gelernte Bankkaufmann. 1992 wechselte er in die DAG, ebenfalls eine der ver.di-Vorläuferorganisationen, die aber damals noch in erbitterter Konkurrenz zur HBV stand. Für Goecke hatte der Wechsel pragmatische Gründe. 1990 hatte er für den Betriebsrat der Volksbank Bochum kandidiert, wurde Nachrücker. Als sich der Betriebsrat 1992 zerstritt und geschlossen zurücktrat, bauten Goecke und eine weitere Nachrückerin das Gremium neu auf. "Ein Start von Null auf Hundert", sagt er heute, denn bei Neuwahlen wurde er vom Nachrücker zum Vorsitzenden. Unterstützt hatte ihn dabei ein Hauptamtlicher der DAG, der Gewerkschaftswechsel lag da nahe.
Menschen, die eine Idee eint
Ende der 90er gestaltete der gebürtige Essener den Zusammenschluss der fünf Gewerkschaften in seinem Fachbereich mit. Dabei traf er nicht auf ideologische Vorbehalte, sondern auf Gleichgesinnte, die für die Beschäftigten der Branche etwas erreichen wollten. "Menschen aus verschiedenen Bereichen, die eine Idee eint", sagt er, noch heute begeistert. Deswegen ver.di. "Eine schlagkräftige Organisation, die mehr erreichen kann." Kann sie das? Goecke wird nachdenklich. In seiner Branche, bei den Genossenschaftsbanken, erlebte er, wie sich der Arbeitgeberverband 2008 erstmals über ver.di hinwegsetzte. Er schloss mit den Pseudogewerkschaften DHV und DBV einen Tarifvertrag ab, mit Nachteilen für die Beschäftigten. Mehr Gehaltsbestandteile werden variabel, die Berufsjahresstaffel aufgeweicht.
"Ich bin immer noch geschockt, dass ein Arbeitgeber sich in Deutschland eine Gewerkschaft aussuchen und an einer großen Gewerkschaft wie ver.di vorbei gehen kann", sagt er. Goecke ist groß und kräftig, aber bei diesen Sätzen wirkt er immer noch verletzt. Persönlich verletzt. "Das hat lange an mir gearbeitet, gesundheitlich und persönlich", sagt der heute 54-Jährige. "Aber ich habe mich wieder aufgerappelt." Er sei niemand, der aufsteckt, wenn es mal nicht klappt. Er ist immer noch Mitglied der Tarifkommission, auch wenn sie im Moment nicht gebraucht wird, weil die Arbeitgeber sich weigern, mit ihr zu verhandeln.
"Wir als Betriebsrat sind der Auffassung, dass hier im Betrieb der Vertrag nicht gilt, weil es bei uns keine Mitglieder von DHV und DBV gibt." So, wie diese Organisationen auch in anderen Betrieben kaum Mitglieder haben. Von den derzeit rund 210 Beschäftigten der Volksbank Bochum/Witten ist hingegen knapp die Hälfte Mitglied bei ver.di. Zwischen 35 und 50 Prozent hat der Organisationsgrad seit seinem Amtsantritt immer gelegen, eine Zahl, auf die Goecke ebenso stolz ist wie auf den Namen ver.di. Und eine Zahl, mit der sich etwas erreichen lässt. Im Februar hat der Vorstand der Volksbank Bochum/Witten erklärt, dass die mit ver.di abgeschlossenen Vereinbarungen weiter gelten. Die Vergütung wird gemäß den Verträgen mit DHV und DBV erhöht, allerdings ohne die darin vereinbarte Ausdehnung leistungsabhängiger Gehaltsbestandteile und ohne die Verschlechterungen bei der Berufsjahresstaffel. Daran hat der Betriebsrat hart gearbeitet.
Dennoch haben viele Mitarbeiter/innen Angst, sich persönlich zu wehren, sagt Goecke. "Banker sind anders als Arbeiter." Er erinnert daran, dass es in den großen Industriebetrieben meist Alleinverdiener gewesen seien, die vor Jahrzehnten die ersten Tarifverträge erstreikt hätten. "Die hatten trotzdem den Arsch in der Hose, vor das Werkstor zu gehen und für ihre Rechte zu kämpfen", sagt er. Er vermisst diese Kultur des Zusammenstehens aus vergangenen Zeiten. Insbesondere in den letzten zehn Jahren habe die Gewerkschaftsbewegung durch politische Entwicklungen sehr gelitten. Die Politik sei mittlerweile zu sehr auf Unternehmen ausgerichtet statt auf die arbeitende Bevölkerung. Im Finanzbereich seien die Berater zu Verkäufern degradiert worden, die das zu verkaufen hätten, was der Arbeitgeber wolle. Zwar seien die Genossenschaftsbanken bei der Umsetzung noch weit von dem entfernt, was in Großbanken passiere - "aber wir sind auf dem Weg dahin", betont Goecke. Verkaufsdruck kennt er noch aus einem Intermezzo als Autoverkäufer in den 80ern. Und gelernt haben die Banken aus der Krise seiner Meinung nach nichts.
Tacheles reden
Offenheit ist für ihn wichtig. Man soll wissen, woran man bei ihm ist, auch wenn er damit aneckt. Er sagt von sich, er rede gern Tacheles, so nennt man es im Ruhrgebiet, wenn jemand nicht lange um den heißen Brei herumredet. Und er setzt auf Beständigkeit. So ist er selbst immer noch Fan von Rot-Weiß Essen, obwohl der ehemalige Fußballbundesligist mittlerweile in der 5. Liga spielt.
Er will und kann seine Kolleg/innen nicht zwingen, sich zu wehren. Auch er sei nicht sofort in eine Gewerkschaft eingetreten, habe sich sein vorhandenes Selbstbewusstsein "schwer erarbeitet", wie er sagt. In vielen Konflikten, die ihn so manche Nacht um den Schlaf gebracht hätten. Er sei jemand, der Probleme mit nach Hause nehme, sie mit seiner Frau diskutiere und am nächsten Morgen weitermache. "Die Belegschaft erwartet von mir, dass ich Konflikte aushalte. Das gehört zum Job", sagt Goecke. Und er weist darauf hin, dass zum Betriebsrat noch acht weitere Mitglieder gehören. Ein Team. Auch das ist ihm wichtig.
Der Wettbewerb
Eine neue, moderne Gewerkschaft sollte aus dem Zusammenschluss von Deutscher Angestellten Gewerkschaft (DAG), Deutscher Postgewerkschaft (DPG), der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV), der Industriegewerkschaft Medien und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) entstehen - und das sollte sich auch im Namen widerspiegeln. Gleichzeitig sollte der Name auch die Bandbreite der Branchen und Berufe zeigen, die die neue Gewerkschaft organisiert. Zugleich sollte er international verwendbar, identitätsstiftend und medientauglich sein. Mit diesen Anforderungen haben die fünf Gründungsgewerkschaften in ihren Mitgliederzeitschriften im November 1998 einen Wettbewerb ausgeschrieben: Die Mitglieder sollten einen Namen finden. Insgesamt wurden 8184 Vorschläge eingereicht. 60 davon kamen in die engere Wahl. Agenturen erweiterten diese Vielzahl der Vorschläge um weitere Ideen. Drei Ideen wurden letztendlich in Befragungen bei Mitgliedern und Nichtmitgliedern auf Akzeptanz überprüft. Nach diesen Ergebnissen einigte sich der so genannte Lenkungsausschuss, der den Zusammenschluss vorbereitet hat, auf ver.di, die Kurzform von Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft. Diesen Namen hatten Petra Wille, Gerhard Elsner, Roberto Alcaide Ramon und Alfred Goecke im Wettbewerb vorgeschlagen, allerdings mit unterschiedlichen Auflösungen der Abkürzung ver.di. Im Frühjahr 1999 wurde er der Öffentlichkeit vorgestellt, bis zum Sommer hatte eine Agentur das magentarote ver.di-Logo entwickelt.