Armutsmigrant/innen aus Bulgarien und Rumänien kommen als Prostituierte und Tagelöhner nach Dortmund. Nun schließt die Stadt den Straßenstrich

Einige lehnen an Häuserwänden, andere stehen auf dem Bürgersteig und diskutieren miteinander. Zwei Männer hantieren an einem offenen Lieferwagen, der Schrott geladen hat. Hier draußen, rund um den Marktplatz, halten sich bis zu 100 Männer auf. Jetzt, wo es wärmer wird, kommen weitere aus Internetcafés und Wettbüros raus auf die Straße. Es sind Migranten aus Bulgarien und Rumänien, die seit 2007, dem EU-Beitrittsjahr der beiden südosteuropäischen Länder, verstärkt nach Dortmund kommen. Hier zieht es sie vor allem in die Nordstadt, einen der ärmsten Stadtteile, in dem mehrheitlich Menschen mit Migrationshintergrund leben, die Mieten günstig, Arbeitslosigkeit und Hartz IV-Bezug überdurchschnittlich hoch sind.

Täglich in den Medien

Die neuen Zuwanderer sind größtenteils Roma, etwa 3000 sollen es zurzeit allein in der Nordstadt sein, schätzt die Stadtverwaltung. Viele der Männer verbringen ihren Tag mitten im Stadtteil. Wenn sich die Gelegenheit bietet, arbeiten sie für ein paar Euro als Tagelöhner - mit Gewerbeschein ist das legal. Nicht wenige der Roma-Frauen stehen zwischen Baumarkt und Tankstelle auf dem Straßenstrich. Insgesamt 700 Frauen sollen hier als Prostituierte arbeiten, über 80 Prozent kommen aus Bulgarien und Rumänien.

In den letzten Monaten gab es heftige Diskussionen in der Stadt. Die lokalen Medien berichteten täglich über den Straßenstrich und gestiegene Kriminalität. Im Mittelpunkt standen dabei die Zuwanderer aus Südosteuropa. Die meisten von ihnen kommen aus Stolipinovo, einem Vorort der bulgarischen Stadt Plowdiw. Die Zustände dort sind hart, es gibt kein fließendes Wasser, keine Müllentsorgung, keine Arbeit.

"Dortmunder Modell" war vorbildlich

Stolipinovo gehört zu den ärmsten Vierteln im ohnehin armen Bulgarien. Das Wohlstandsgefälle zwischen Deutschland und Bulgarien ist enorm. In Deutschland betragen die Arbeitskosten, also Löhne und Lohnnebenkosten, laut Statistischem Bundesamt 30,90 Euro pro Stunde, in Bulgarien sind es 2,90 Euro, in Rumänien vier Euro. Stolipinovo ist kein Einzelfall, es gibt zahlreiche ähnliche Vororte in Bulgarien und auch in Rumänien. Die Lebenserwartung der Roma liegt EU-weit zehn Jahre unter dem Durchschnitt.

Um die Straßenprostitution in den Griff zu bekommen, wurde vor zehn Jahren das "Dortmunder Modell" entwickelt, das sich über die Jahre bewährte: Der Straßenstrich wurde ortsfest, die Prostituiertenberatungsstelle "Kober" bietet vor Ort in einem großen Container Kaffee, heiße Suppe und Gespräche an. Der legale und betreute Arbeitsplatz Straßenstrich schützte die Frauen relativ gut vor Gewalt und Krankheiten. Doch mit der Mehrheit von SPD und CDU hat der Rat die Schließung des Straßenstrichs beschlossen. So falle eine wichtige Einnahmequelle der Roma weg, sie würden aus Dortmund verschwinden und mit ihnen auch die Kriminalität - so die Hoffnung der Politiker. Genau dieser Zusammenhang wird von den anderen Ratsparteien und auch von "Kober" bestritten.

Seit Mitte Mai ist der Straßenstrich nun geschlossen, der Sperrbezirk auf das gesamte Stadtgebiet ausgedehnt. Doch wo sollen die Menschen hin, wenn sie in Dortmund nicht erwünscht sind? Zurück nach Bulgarien? Oberbürgermeister Ullrich Sierau, SPD, nennt das Vorgehen der Stadt Dortmund "einen Akt der Notwehr".

Emilija Mitrovic ist Sozialwissenschaftlerin, sie war Leiterin des inzwischen beendeten ver.di-Projekts "Arbeitsplatz Prostitution" und hat für ver.di das Buch Sexarbeit - ein Beruf mit Interessenvertretung? herausgegeben. Auch wenn die Prostituierten aus Bulgarien und Rumänien sich nicht gewerkschaftlich organisieren, gehört es aus ihrer Sicht zu den Aufgaben der Gewerkschaften, dafür zu sorgen, dass die Verhältnisse am äußersten gesellschaftlichen Rand "einigermaßen in Ordnung" sind. "Prostitution ist eine anerkannte Tätigkeit, damit müssen auch bestimmte Rechte gesichert sein", sagt Emilija Mitrovic. Die Verdrängung in Illegalität und Unsicherheit sei das genaue Gegenteil.

Auch in anderen deutschen Städten gibt es seit 2007 einen verstärkten, völlig legalen Zuzug aus Bulgarien und Rumänien. In Duisburg zum Beispiel. Vieles ähnelt der Situation in Dortmund, nur gibt es in Duisburg keinen relevanten Straßenstrich. Der örtliche ver.di-Geschäftsführer Thomas Keuer beobachtet die Situation genau. Er stellt das Hauptproblem, den größten Mangel, bei den Kindern fest, die oft nicht die Schule besuchen und keine Gesundheitsvorsorge bekommen. "Hier muss die Stadt handeln", fordert er.

EU will Roma besser integrieren

Zehn bis zwölf Millionen Roma leben in Europa, sie sind damit die größte ethnische Minderheit. Häufig leben sie unter ärmlichsten Bedingungen und werden von den Mehrheitsbevölkerungen diskriminiert. Die EU will die Integration der Roma vorantreiben. Hierzu hat sie den Mitgliedsländern aufgegeben, bis Ende 2011 nationale Roma-Strategien zu entwickeln, die eine bessere Teilhabe in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Gesundheit und Wohnen ermöglichen.

Bis das Wirkung zeige, könne es aber noch lange dauern, meint Emilija Mitrovic. Entscheidend ist für die Sozialwissenschaftlerin die konkrete Hilfe: "Arbeitsrechte sind Menschenrechte. Die besten Maßnahmen gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution sind Aufklärung und gute Beratungs- und Anlaufstellen vor Ort."