Die Gewerkschaften helfen osteuropäischen Arbeitnehmer/innen, sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt zurechtzufinden. Sie sollen gezielt über ihre Rechte informiert werden und im Notfall schnelle Hilfe bekommen

Shoppen bei Saturn in Warschau: Die Unternehmen sind dort. Kommen die Arbeitnehmer jetzt her?

Dem Mann war klar, dass bei seinem Job etwas nicht stimmte: Für 20 Euro am Tag, so erzählte der Pole den Beratern, arbeitete er im Pflegebereich einer Görlitzer Klinik. Ob das in Ordnung sei? Die Antwort, die er am Stand der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc bekam, war eindeutig: Nein, so darf es nicht sein.

Sebastian Klaehn schüttelt noch Tage später den Kopf über die 20 Euro. Der DGB-Koordinator für die grenzüberschreitende Arbeitsmarktpartnerschaft "EURES-TriRegio" ist froh, dass die deutschen Gewerkschaften gemeinsam mit ihren polnischen und tschechischen Partnern, den Arbeitsverwaltungen und Arbeitgeberverbänden der Grenzregionen Arbeitnehmer über die Regeln auf dem deutschen Arbeitsmarkt informieren. "So etwas wie bei dem unterbezahlten Krankenhausmitarbeiter ist bislang zum Glück die Ausnahme. Wir sehen jedoch, dass die deutschen Regelungen bei Sozialversicherungen und Steuern für Menschen aus Polen oder Tschechien kompliziert sind. Einzuschätzen, ob ein Jobangebot attraktiv ist, fällt ihnen oft schwer." So könne eine Mitarbeiterin in der Gastronomie ihr Einkommen mit 800 Euro zwar gegenüber dem Lohn in Polen verdoppeln, ob sie damit ihren Lebensstandard angesichts höherer Lebenshaltungskosten in Deutschland aber verbessern könne, sei fraglich.

Vorsicht Fallstricke

Die Beratungsangebote sollen den Arbeitnehmer/innen helfen, sich besser auf dem deutschen Arbeitsmark zu orientieren und Fallstricke zu vermeiden. Wie viele Menschen davon profitieren werden, ist auch nach der Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes noch offen. "Viele glauben, dass sich auf dem Arbeitsmarkt nicht viel tun wird", sagt Sebastian Klaehn, "weil die polnischen und tschechischen Arbeitnehmer, die sich vorstellen können, im Ausland zu arbeiten, schon längst in die englischsprachigen Länder gegangen sind oder einen Weg gefunden haben, in Deutschland tätig zu sein." Dennoch verzeichnet er einen großen Andrang bei den Jobmessen und Beratungstagen von EURES-TriRegio. Es kommen Menschen aller Altersgruppen und Berufe, die oft Arbeit nahe der Grenze suchen. "Mit der Öffnung des Arbeitsmarkts werden im Niedriglohnsektor mehr Menschen zur Verfügung stehen, zugleich wird sich die Konkurrenz um Fachkräfte beidseits der Grenze verschärfen", sagt Klaehn.

Für die deutschen Gewerkschaften geht es jetzt vor allem darum, Lohndumping zu verhindern. Ein bundesweit einmaliges DGB-Beratungsbüro für entsandte Arbeitnehmer in Berlin und die EURES-Berater im Grenzgebiet in Sachsen sollen dafür sorgen, dass die osteuropäischen Arbeitnehmer gezielt über ihre Rechte informiert werden und im Notfall schnelle Hilfe bekommen.

Dafür sorgt auch Wladimir Lisowski in Polen. Etwa 50 polnische Arbeitnehmer haben sich seit Januar bei dem EURES-Berater in Jelenia Góra gemeldet. Sie haben in der Regel noch keinen Job in Deutschland, wollen sich aber informieren. Ihre Fragen beziehen sich vor allem auf den Arbeitsvertrag und die Entlohnung: "Vielen muss man erklären, wie die Löhne in Deutschland gestaltet werden und in welchen Branchen Mindestlöhne gelten." Anders als die Berater der Arbeitsagenturen kann Lisowski zwar keine Jobs vermitteln, aber wichtige Hintergrundarbeit leisten. Er kann über die Tarifverträge informieren, die in Deutschland gelten, und "mit Hilfe der Kollegen vom DGB sagen, ob in dem jeweiligen Betrieb ein Tarifvertrag gilt. Für einen potenziellen Arbeitnehmer ist es wichtig, dass er in einem Betrieb mit Tarifvertrag das Recht auf die gleiche Entlohnung hat wie alle anderen Beschäftigten."

Raus aus der Illegalität

Doch die Gewerkschaften denken bei der Beratung nicht nur an Zuwanderer. Wolfgang Anschütz von ver.di Sachsen hofft auch, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit bislang illegale Arbeitsverhältnisse - vor allem im Pflegebereich - in die Legalität holt. "Wir müssen darüber informieren, dass sich der Status der Beschäftigten erheblich verbessert, wenn sie ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis haben." Das könne die Pflegedienste zwar zunächst verteuern, "aber wenn die Schwarzarbeit zurückgeht, profitieren wir alle davon".

www.eures-triregio.eu

http://postedwork.dgb.de

Freizügigkeit für Arbeitnehmer und Selbstständige

Seit dem 1. Mai gilt in Deutschland die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit: Arbeitnehmer/innen aus 23 EU-Mitgliedstaaten können hier ihren Arbeitsplatz frei wählen. Damit enden die Beschränkungen, die seit 2004 für Menschen aus Polen, Tschechien, Estland, Ungarn, Slowenien, Lettland, Litauen und der Slowakei galten. Eine Arbeitserlaubnis brauchen nur noch Menschen aus Bulgarien und Rumänien. Auch die Beschränkungen zur Dienstleistungsfreiheit entfallen, damit können Selbstständige von einem EU-Mitgliedstaat aus einzelne Dienstleistungstätigkeiten vorübergehend in einem anderen EU-Mitgliedstaat erbringen, ohne dort eine ständige Niederlassung zu unterhalten.

Für die nächsten vier Jahre erwartet die Bundesregierung den Zuzug von rund 100.000 Arbeitnehmern, von denen ungefähr die Hälfte aus Polen kommen werde.