Ausgabe 12/2011
Hier kocht ver.di noch persönlich
ver.dianerinnen und ver.dianer kochen, brutzeln und backen. Genießen koreanisch oder russisch, mischen exotische Traditionen mit deutschen und feiern Weihnachten und die magische Silvesternacht
Von Claudia von Zglinicki
Saarländische Zimtwaffeln
Marina Strobel, Ina Colle und Marianne Schottke, Berlin
Das Werk ist gelungen! Ina, Marina und Marianne (von li.)
Blattgold als Deko, unter dem macht Marina Strobel es nicht. Von einer Reise hat sie Glitzerdeko und winzige Förmchen mitgebracht. Die frühere Physiotherapeutin, die aus gesundheitlichen Gründen erwerbsunfähig ist, hätte das Zeug zur Patissière, sagen ihre Freundinnen. Außerdem backen die drei nur einmal im Jahr zusammen, da wird geklotzt und nicht gekleckert und alles aufgeboten, was Marinas Küche zu bieten hat. Jede bringt zwei neue Rezepte mit, und die beliebtesten alten sind auch wieder dabei. So entstehen von Jahr zu Jahr mehr Varianten in der Backstube der drei, die sich vor Jahren als Frauenbeauftragte in einem großen Berliner Klinikum kennengelernt und bald festgestellt haben, dass sie nicht nur zusammen für Gleichstellung streiten, sondern auch großartig gemeinsam backen können.
Inas Zimtwaffeln zum Beispiel, nicht Zimtsterne, sondern Waffeln. Eine Spezialität aus dem Saarland, für die sie ein spezielles Waffeleisen mitbringt, das verschiedene Muster in den Teig prägt. "Zimtsterne backe ich nicht", sagt die Perfektionistin. "Die werden bei mir nicht gleichmäßig." Marina fällt ein, dass ihr im vorigen Jahr eine Gebäcksorte "schrecklich missraten" ist. Die Freundinnen haben sich aber doch "erbarmt und alle gegessen". Alles gelingt ihnen, immer besser werden die Kekse, bei Marina auch immer kleiner. Backoblaten mit drei Zentimetern Durchmesser für Elisenlebkuchen sind ihr viel zu groß. Doch bei aller Eleganz der aufwendigen Produkte: Klassische Heidesand-Plätzchen sind ihre Favoriten. Mit einem Hauch von Salz im Abgang. Klingt lustig, ist aber wahr.
Pottasche zu Putzmittel
Beim Backen wird überhaupt viel gelacht. Marianne, die Bewegungstherapeutin an der Rehaklinik für Suchtentwöhnung ist, experimentiert zum ersten Mal mit Pottasche. Die Holsteiner Pfefferkuchen mit Haferflocken und Kardamom brauchen das Pulver. Entsetzt beugt sie sich über den Backofen, als sekundenlang stechende Dämpfe entweichen. "Backe ich gerade mit Putzmittel?"
Am Ende des Backtages, nach runden sechs Stunden, essen alle herzhafte Bohnensuppe und nehmen Kisten voller Gebäck mit. Marina verschickt süße Päckchen an Geschwister, Nichten und Neffen. Es ist mal wieder eine Geschäftsidee für die drei Frauen entstanden: "Man kann uns buchen! Wir backen in Ihrer Küche unsere Plätzchen für Sie. Weihnachtliche Stimmung inklusive."
Emilija MitroviĆ, Hamburg
Emilija kocht nach Farben: grün, gelb, rot und weiß
Ein richtiges Winteressen nennt sie es. Zu Weihnachten kommen Freunde zu Emilija Mitrović, vielleicht kocht sie es dann. Ein Extratopf ohne Huhn eignet sich auch für den Veganer unter den Gästen. Auf jeden Fall muss es vor den Festtagen einmal Pileći Paprikaš geben - Paprikahuhn, so wie ihre Familie in Serbien es kocht.
Emilija Mitrović ist Sozialwissenschaftlerin und Autorin. Sie arbeitet bei ver.di in der Gruppe der Migrant/innen mit und ist aktiv in der Hamburger Anlaufstelle für Menschen ohne gesicherten Aufenthalt. Eines ihrer wichtigsten Themen ist die Situation von Prostituierten in Deutschland.
Bunt muss es werden
Emilija war erst sechs, als sie mit ihrer Tante Maria und ihrer Schwester aus Belgrad nach Deutschland zog. Ihr Vater ist Serbe und lebt immer noch in Belgrad. Ihre schon früh verstorbene Mutter war Donauschwäbin, so war ein Teil der Familie katholisch, der andere orthodox. "Aber wir waren nicht wirklich religiös. Ich feiere Weihnachten auch nicht so ausgiebig", sagt Emilija. Ich habe zwar gelernt, wie man eine klassische Weihnachtsgans brät, aber das Fest findet bei mir überhaupt erst wieder statt, seit 1989 meine Tochter geboren wurde."
Ihr Paprikahuhn ist typisch für die serbische Küche. Es hat einen österreichisch-ungarischen Einschlag, den Emilija liebt. Außer Hühnerschenkeln, Paprikaschoten, Petersilienwurzel, Karotten, Knoblauch und Zwiebeln sind vor allem Rible wichtig, wie sie erklärt, "ähnlich wie Spätzle bestehen die aus Eiern, Mehl, Salz und Muskatnuss. Ich schabe sie über so ein komisches Gerät direkt in die Sauce." Dann kommen große Kartoffeln dazu, die der Länge nach geviertelt werden müssen, Rosenpaprika und Vegeta. Das jugoslawische Gewürz kannte sie schon als Kind, "in seiner typischen blauen Packung. In Hamburg kauft man es im Balkanmagazin." Emilija kocht nach Farben: grün, gelb, rot, weiß. Orange färbt sich die Sauce durch das Gewürz. "Wie zu jedem jugoslawischen Essen" serviert sie noch Weißbrot oder Baguette, "weil so viel Sauce da ist." Die perfekte Nachspeise sind für sie dann hauchdünne Palatschinken, am liebsten mit einer Füllung aus gemahlenen Walnüssen.
Ein unbedingt notwendiges Gericht, diese Reissuppe, sagt Yun-Soon
Kim Yun-Soon, Berlin
Ohne die traditionelle Reissuppe beginnt bei der Südkoreanerin kein Jahr. Sie ist evangelische Christin, und Weihnachten wird in der Familie entsprechend gefeiert. Doch zum Jahreswechsel steht das größere Fest bevor. In ihrer alten Heimat trifft man sich am 1. Januar schon früh um acht bei den Eltern und beginnt den Tag mit der Reissuppe. Wenn man die zusammen isst, wird man wieder ein Jahr miteinander verbringen, sagt der Brauch.
Bei Familie Kim mischt sich die asiatische Tradition, zu der unbedingt Kimchi gehört, scharf eingelegter Kohl, mit europäischen Bräuchen - und mit Berliner Pfannkuchen, die in Berlin eben nicht "Berliner" oder Krapfen heißen. Die werden am Nachmittag serviert. "Um Mitternacht knallen wir dann im Garten", erzählt Yun-Soon. "Wir machen ein richtiges Feuerwerk. Wenn wir dann mit eiskalten Händen wieder reinkommen, bringe ich die dampfende Reissuppe auf den Tisch."
Dafür kocht sie einen großen Topf Brühe aus Rindfleisch, fügt Lauch, Ingwer und Seetang hinzu, alles in winzigste Streifen geschnitzt. Obenauf kommen kleine, pikante Reiskuchen, die Frau Kim aber, wie sie zugibt, lieber in einem Asialaden kauft. Darauf streut sie geröstete Sesamkörnchen. Die Suppe duftet und sieht regelmäßig gestaltet aus, asiatisches Design eben. So muss es sein, findet die Koreanerin.
Berlinerin ist Yun-Soon auch - seit mehr als 30 Jahren. Sie kam damals aus Südkorea, um in der Krankenpflege zu arbeiten. In einem städtischen Krankenhaus begann sie. Büffelte Deutsch und lernte von der Oberin, akribisch zu putzen und sorgsam Patienten zu betreuen. Lernte überhaupt viel - bis sie examinierte Krankenschwester war. Dankbar ist sie der Klinik bis heute, dass sie sofort einen ordentlichen Lohn bekam, "obwohl ich noch nicht mal richtig Deutsch konnte, sondern nur ein paar Worte". Sie lebte von 150 Mark im Monat. Eine feste Summe sparte sie für ihre Hochzeit. Den größten Teil schickte sie nach Hause, zu ihrer Familie, damit die Geschwister gut ausgebildet wurden, vor allem die Brüder.
Tanzen und Trommeln
In Deutschland hat sie geheiratet und zwei Kinder bekommen, die inzwischen erwachsen sind. Ihr Mann ist wie sie aus Südkorea nach Deutschland gekommen. Yun-Soon ist immer noch Krankenschwester am Neuköllner Klinikum, arbeitet aber nur noch halbtags, weil sie Zeit für ihre Leidenschaft braucht: die Tanz- und Trommelgruppe. Die hat sie 2003 für ihre Kolleginnen gegründet, um ihnen wieder Schwung zu geben, als viele im Krankenhaus wegen schwieriger Umstrukturierungen und Versetzungen große Probleme hatten. Das ist lange her, doch die Gruppen tanzen und trommeln weiter. In kostbaren Kostümen treten sie inzwischen manchmal sogar vor Publikum auf.
Galina und Georgios zeigen Sophia schon mal, wie es in der Küche läuft
Galina Golovina und Georgios Margaritis, Wuppertal
"Silvester ist in Russland das fröhlichste Fest", sagt Galina Golovina. "Es wird von allen gefeiert, unabhängig von Nation und Konfession." Eine magische Nacht sei es. Wie sie verlaufe, so werde das Jahr. "Und wer will schon das Jahr über allein sein und schlafen?"
Die Russin lebt seit zehn Jahren in Deutschland. Sie unterrichtet Deutsch für Ausländer und ist zurzeit mit der kleinen Tochter zu Hause. Ihr Mann Georgios Margaritis, in Deutschland geborener Grieche, ist Arbeitsberater im Jobcenter Wuppertal. Er ist zweisprachig groß geworden, die kleine Tochter wird mit drei Sprachen aufwachsen. Weihnachten und Silvester werden mit Einflüssen aus drei Ländern gefeiert.
"Wir haben uns und die Feiertage in der Familie neu erfunden", sagt Galina. Am 24. und 25. Dezember mischen sich deutsche und griechische Einflüsse. Heiligabend gibt es kein Fleisch, am ersten Feiertag wird Lamm zubereitet. "Traditionell griechisch wäre aber Schweinefleisch", sagt Georgios.
Das Jahresende wird in Galinas Heimat mit Familie und Freunden lange vorbereitet. Es wird geplant, organisiert und schon ein bisschen vorgefeiert. "In der Silvesternacht läuft im Hintergrund der Fernseher, damit man sieht, wie spät es an welchem Ort gerade ist", sagt sie. Zum ersten Mal wird angestoßen, wenn es in Wladiwostok Mitternacht ist. "Dann stoßen wir mit der Ukraine an, mit Moskau. Man hat ja überall Verwandte, an die man denkt."
So ähnlich läuft es nun auch in Wuppertal. Dafür wird gemeinsam gekocht. "Salat Olivier" ist der Favorit. Der russische Salat mit dem französischen Namen wird mit Mayonnaise angerührt, Salzgurken, Kartoffeln, Wurst, Erbsen, Eier. Ein Rezept ist nicht nötig, die Mengen werden nach Erfahrung gemischt - und nach Gefühl.
Nach russischer Tradition wird der Weihnachtsbaum erst kurz vor Silvester aufgestellt. Väterchen Frost kommt dann bis 6. Januar. Nach griechischer Sitte werden am Neujahrstag Geschenke verteilt. "In unserer Familie ist die Bescherung am 24. Dezember. Am Neujahrstag werden aber noch ein paar Kleinigkeiten überreicht", sagt Georgios. "Wir essen zu Neujahr griechisches Pita, ein Fladenbrot, mit Käse überbacken. Darin versteckt man ein Geldstück. Wer es findet, hat Glück im neuen Jahr."
"In unserer Familie ist die Bescherung am 24. Dezember. Am Neujahrstag werden aber noch ein paar Kleinigkeiten überreicht. Wir essen zu Neujahr griechisches Pita, ein Fladenbrot, mit Käse überbacken. Darin versteckt man ein Geldstück. Wer es findet, hat Glück im neuen Jahr."