Ausgabe 06/2012
Wenn Interessenvertreter nicht in den Betrieb dürfen
Der 8. Juni hätte ein Tag zum Jubeln sein können. Zum ersten Mal durfte die Belegschaft der Wellpappenfirma P-Well in Bad Bentheim nahe der niederländischen Grenze endlich einen Betriebsrat wählen. Mehr noch: Die ver.di-nahe Liste "Gerechtigkeit" erhielt die meisten Stimmen und überflügelte die anderen vier Listen. Doch von denen, die mit Hilfe ihrer Gewerkschaft und gegen den Widerstand der Geschäftsleitung die Wahl zum Betriebsrat durchgesetzt hatten, ist kaum noch einer im Betrieb: Sie wurden entlassen, abgefunden, rausgesetzt.
Sechs-Tage-Woche und ungeregelte Pausen
Von vorn: Bei P-Well läuft einiges schief, meinten ein paar Beschäftigte. Die Höhe der Stundenlöhne bestimme allein der Chef, ebenso wie die Prämie am Jahresende. Ungeregelte Pausenzeiten, keine Duschen und zu wenige Umkleiden, häufig eine Sechs-Tage-Woche, kein Mitspracherecht für die Belegschaft - so könne es nicht weitergehen, sagten einige Beschäftigte und holten sich ver.di zu Hilfe, um einen Betriebsrat zu wählen, wie es das Betriebsverfassungsgesetz vorsieht. Doch die Betriebsversammlung im Februar, auf der ein Wahlvorstand gewählt werden sollte, ging im Tumult und ohne Wahl zu Ende (ver.di PUBLIK 3/2012). Die beiden ver.di- Gewerkschaftssekretäre wurden von P-Well-Führungskräften abgehalten, die Versammlung zu leiten und vom Sicherheitsdienst abgeführt. Sechs Beschäftigten kündigte P-Well. Fast alle hatten sich kritisch zu den Arbeitsbedingungen im Betrieb geäußert. Die Auseinandersetzungen gingen vor Gericht weiter. In einem Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Lingen verständigten sich ver.di und P-Well auf einen gemeinsamen Wahlvorstand, der die Betriebsratswahl vorbereitete. Und obwohl P-Well behauptet hatte, die Belegschaft wolle keinen Betriebsrat, stellten sich schließlich fünf Listen zur Wahl.
Endlich gewählt, aber ...
Fast ein Drittel der Stimmen konnte die ver.di-nahe Liste "Gerechtigkeit" für sich verbuchen. Obwohl noch am Tag der Wahl im Betrieb Zettel kursierten, auf denen zu lesen war, ver.di sei laut FDP mit Schuld an der Insolvenz der Drogeriekette Schlecker. Offensichtlich hatte die Belegschaft die Taktik durchschaut, die Liste "Gerechtigkeit" konnte drei der neun Mandate für sich gewinnen. Doch zwei der Gewählten können ihr Mandat jetzt nicht wahrnehmen. Sie gehören zu den Entlassenen. Kaum waren die Stimmen ausgezählt, wurden beide vom Sicherheitsdienst der Firma abgeführt und ein Hausverbot ausgesprochen. Gewählte Betriebsratsmitglieder dürfen nicht in den Betrieb? Das wollte einer von ihnen nicht hinnehmen; er ging vors Arbeitsgericht, um per einstweiliger Verfügung zu erreichen, dass er an der konstituierenden Sitzung des Betriebsrats teilnehmen und die Firma zur Betriebsratsarbeit betreten darf. "Ich will wieder ganz normal arbeiten", erklärte er vor Gericht. Doch die Geschäftsführer von P-Well, die alle drei im Juni vor Gericht erschienen waren, machten deutlich, dass das Verhältnis zerrüttet sei. Das Verfahren endete mit einem Vergleich: Das geschasste Betriebsratsmitglied erhält 50.000 Euro, die fristlose Kündigung wurde in eine ordentliche umgewandelt. Und raus ist er. Eine zweite Kündigungsschutzklage ist noch anhängig. "P-Well hat sich gezielt die Beschäftigten herausgepickt, die Missstände im Betrieb öffentlich gemacht und sich für einen Betriebsrat eingesetzt haben, und versucht jetzt sie loszuwerden", sagt ver.di-Gewerkschaftssekretär Jürgen Krapf.
Und das ist noch nicht alles: P-Well hat Strafanzeige gegen ver.di und Jürgen Krapf gestellt und klagt auf Widerruf, Unterlassung und Schadenersatz wegen angeblich falscher Behauptungen. ver.di wehrt sich – und hat die Firma wegen Behinderung bei der Einleitung von Betriebsratswahlen angezeigt. Auch das wird noch vor Gericht geklärt.
Inzwischen hat der Betriebsrat jedoch mit seiner Arbeit begonnen. Zunächst sind alle neun Mitglieder zu einer Schulung gefahren. Immerhin hat nun auch die P-Well-Belegschaft in Bad Bentheim eine Interessenvertretung. Schwerpunkt Seiten G4 – G5
P-Well: Das Unternehmen
P-Well hat Werke in Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Keines ist tarifgebunden. Vom Tarifvertrag in der papier-, pappe- und kunststoffverarbeitenden Industrie ist P-Well weit entfernt. Statt 30 Urlaubstagen wie im Tarifvertrag gibt es nur 27, statt 50 Prozent Urlaubsgeld und 95 Prozent tarifliche Jahresleistung erhalten Beschäftigte lediglich eine Prämie, der Stundenlohn ist geringer als im Tarifvertrag festgelegt.