Ausgabe 03/2013
Zur Kasse bitte
Protest im Frankfurter Bankenviertel Anfang April
Vor dem EZB-Gebäude wurde symbolträchtig ein Gerechtigkeits-Diagramm aufgestellt. "Es kann nicht sein, dass ein Prozent der Bevölkerung 35 Prozent des Vermögens besitzt, während 40 Prozent sich 1,4 Prozent des Vermögens teilen müssen und zehn Prozent gar nichts besitzen", kritisierte Jürgen Bothner, ver.di-Landesbezirksleiter in Hessen. "Wir wollen zeigen, dass die Schere zwischen Reich und Arm in Deutschland immer weiter auseinanderklafft und endlich was getan werden muss!"
Was vor der EZB symbolisch deutlich wurde, thematisierten auf der Abendveranstaltung "sparen? sparen? sparen? - oder: Geld ist genug da!" unter anderem der hessische Landesgeschäftsführer des Paritätischen, Günter Woltering, und der Berliner Professor Achim Truger. Jürgen Bothner zog Bilanz nach zwei Jahren Schuldenbremse. "Wir haben vor der Aufnahme der Schuldenbremse in die hessische Verfassung gewarnt. Jetzt bekommen wir die Auswirkungen zu spüren: Kürzungen, insbesondere im Sozialen, bei Kultur, Bildung und Infrastruktur." Auch der kommunale Schutzschirm sei eine Mogelpackung. "Wer spart, hat am Ende normalerweise mehr in der Tasche", so Bothner. Doch die Kassen der Kommunen blieben weiterhin leer. "Das einzige, was rasant tickt, ist die Anzeige der Reichtumsuhr."
Was passiert, wenn Armut wächst, die Nachfrage nach Hilfe steigt und gleichzeitig das Angebot an Unterstützung zusammengestrichen wird, schilderte Günter Woltering eindrücklich. "Immer mehr arme Menschen mit Wohnsitz nehmen zum Beispiel Angebote für Obdachlose wahr. Da gibt es einen regelrechten Verdrängungswettbewerb." Auch im Beratungsbereich habe sich die Situation zugespitzt. Hilfesuchende müssten Monate auf einen Termin warten. "Das ist gerade für Menschen fatal, die schnelle Hilfe benötigen."
Negative Folgen des Sparens
Aber auch in anderen Bereichen, ob Gesundheit, Pflege, Erziehung und Bildung, seien die negativen Folgen der Sparpolitik spürbar. "Schon jetzt gibt es im sozialen Bereich keine bedarfsgerechte Finanzierung", kritisierte Woltering. Mit der Kommunalisierung sozialer Hilfen habe sich das Land aus der Verantwortung gestohlen. "Schon heute wird bei der Vertragsvergabe meistens nur noch auf das Geld geschaut, die fachliche Qualität spielt kaum noch eine Rolle." Die Devise laute: Hauptsache billig.
Dass nicht die Kommunen über ihre Verhältnisse gelebt haben, sondern bei den Einnahmen weit unter ihren Möglichkeiten geblieben sind, belegte der Wirtschaftswissenschaftler Achim Truger. Der Steuerexperte untermauerte die ver.di-Forderungen nach einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer sowie einer einmaligen Vermögensabgabe. "Das Schuldenproblem der Kommunen ist nicht mit weiteren Sparmaßnahmen zu lösen, sondern nur durch eine Stärkung der Einnahmenseite." Truger sprach sich außerdem für die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, die Beendigung der Privilegierung von Kapitaleinkommen (Abgeltungsteuer), die Einführung der Finanztransaktionssteuer sowie für eine Erhöhung der Unternehmens- und Erbschaftssteuer und die Stärkung des Kampfes gegen Steuerbetrug und Steueroasen aus.
Über den "Irrsinn" des Kommunalen Schutzschirms berichtete Gerhard Christ-Steinicke, ver.di-Vertrauensleutevorstand bei der Stadt Rüsselsheim, einer der 100 Kommunen, die trotz großer Bürgerproteste die Konsolidierungsvereinbarungen mit dem Land Hessen unterzeichnet haben. Die Einsparungen von elf Millionen Euro im Jahr haben nicht nur ein Drittel der kommunalen Beschäftigten arbeitslos gemacht, sondern ein Großteil der Rüsselsheimer Bürger von der Teilhabe an Bildung, Kultur und vielem mehr ausgeschlossen, aber das Schuldenproblem nicht gelöst.